Sadiq Jalal al-Azm in unserer Erinnerung

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Sadiq Al Azm und der Ibn Rushd Fund.

von Nabil Bushnaq (Gründer des Ibn Rushd Funds)

Vortrag zur Erinnerungsfeier von Sadiq Jalal Al-Azm, Berlin, 17. Februar 2017

Ich erinnere mich an die sechziger und siebziger Jahre, als wir einen geistigen Aufschwung in der arabischen Welt erhofften und Bücher der Aufklärung lasen, wie  „Die Tage“ und „Die Zukunft der Kultur in Ägypten“ von Taha Hussein, oder „Der Islam und die Grundlagen des Regierens“ von Ali Abdel-Raziq und „Die Befreiung der Frau“ von Qasim Amin. Diese Bücher erfüllten uns mit Zuversicht, dass ein neues Zeitalter der Freiheit und des  Fortschritts sowie eine Annäherung an das zeitgenössische globale Denken beginnen würde, mit dem die dritte Welt vom Einfluss des Kolonialismus befreit würde.

Es fegten schwere politische Stürme über die arabische Region: Israel eroberte 1948 drei Viertel Palästinas, und im Blitzkrieg 1967 den verbliebenen Rest sowie die syrischen Golanhöhen und den ägyptischen Sinai. Das waren damals schockierende Ereignisse, die in jeder Hinsicht von Politikern und von der Öffentlichkeit schwer zu verdauen waren.

Die Intellektuellen aller politischen Ideologien beteiligten sich damals bei der Suche nach den Gründen der Niederlage. Die stärkste dieser Ideologien war der politische Islam, der durch die finanzielle Unterstützung durch die Golfstaaten und die ideologische Unterstützung durch den wahhabitischen Fundamentalismus sehr gestärkt wurde. Zudem wandelten sich nationale Staaten zu strikten Diktaturen, die jegliche Bürger- und Menschenrechte missachteten, und nichts für soziale Gerechtigkeit unternahmen. Es war sehr schwer, sich den religiösen Strömungen entgegenzustellen, da alle Menschen von Kindesalter an zum Glauben erzogen werden.

Nach der  Niederlage von 1967 suchten eine Reihe von Autoren nach deren Gründen und kritisierten das religiöse Denken. Allen voran  Sadiq Jalal al-Azm, den ich als den wichtigsten Vertreter sehe: gewappnet mit Philosophie und logischem Denken war er ein großer Verfechter der Freiheit, Rationalität und des Säkularismus und schrieb die Werke „Kritik am  religiösen Denken“ und „Selbstkritik nach der Niederlage“ die für ihn große Schwierigkeiten hin bis zu Strafverfolgung nach sich zogen.

Dieser Mann Al-Azm hat mich mit seiner Courage, seiner Entschlossenheit und seinem klaren Denken sehr fasziniert. Seine These, dass die Zeit des religiösen Denkens als Erklärungsprinzip für Politik und Geschichte vorüber sei eröffnete mir einen Weg der Hoffnung auf einen Umbruch der Gesellschaft von einer religiös-konservativen, die in der tiefsten Vergangenheit lebt, zu einer säkularen modernen demokratischen Gesellschaft, in der  das kulturelle und historische Erbe kritisch analysiert wird und infolgedessen eine rationale Gegenwart geboren wird,  die auf Kausalität und nicht auf Wunschdenken basiert. Al-Azms Antwort auf die Frage, ob die islamische Religion mit dem Säkularismus und der Demokratie vereinbar sei, war ein klares JA.

Kersten Knipp  schrieb in einem Essay in Qantara im Jahre 2009 anlässlich Al-Azms 75. Geburtstag:

„Sadiq Jalal al-Azm kann man als den Verfechter der arabischen Aufklärung schlechthin, als Mann des geistig-religiösen Konflikts bezeichnen. Er gilt als der bekannteste kritische Denker  in der arabischen Welt und als der schärfste unter ihnen. Als Folge geriet Al-Azm in die Schusslinie vieler Fronten. Trotzdem behielt er seine überragende Stellung über Jahrzehnte. Seine aristokratische Erziehung erlaubte ihm, wie er selber sagt, sich stärker auf die rationale Realität zu konzentrieren und alles, was das Metaphysische anging, außer Acht zu lassen. So konnte Al-Azm die Welt aus einem rational materialistischen Blickwinkel betrachten und sich schützen vor allen Formen der geistigen Intoleranz.“            

Als ich in den 1980er und  1990er Jahren voll von den Ideen al-Azms war, ebbte die Welle des glühenden arabischen Nationalismus, Sozialismus und Liberalismus der fünfziger und sechziger Jahre ab, statt dessen erstarkten die vom Petrodollar finanzierten religiösen Bewegungen und der politische Islam.

Die meisten Vertreter des progressiven nationalen Denkens wurden immer stiller angesichts der Intensität und Wucht dieser religiösen Bewegungen. Wenn ich mit progressiv gesonnenen Freunden über die Notwendigkeit der Wiederbelebung des demokratischen Denkens als Alternative zum religiösen Denken diskutierte, entgegneten sie mir, das vor so einem Sturm wir besser das Haupt neigen sollten, bis der Sturm vorbei ist.

Etwa im Jahr 1998 reifte in mir und einigen Freunden und Kollegen die Idee der Gründung des Ibn Rushd Fund für Freies Denken heranreifte; wir wollten jährlich einen Preis an Personen, die sich um die geistige Entwicklung der arabischen Welt verdient gemacht hatten verleihen. Ich fragte führenden Schriftsteller und Denker in der arabischen Welt, um ihre Meinung zu dieser Idee. Ich erhielt zahlreiche positive Antworten, die die Notwendigkeit der Umsetzung der Idee unterstützten; von Haidar Abdel Shafi aus Palästina über Nasr Hamed Abu Zeid, Mahmoud Amin al-Alim und Hassan Hanafi aus Ägypten und Mohammed Abed al-Jabri aus Marokko bis zu Clovis Maqsoud aus dem Libanon. Schließlich schrieb mir mein Freund im Geiste und Menschlichkeit, Sadiq Jalal al-Azm  mit seiner eigenen Handschrift aus Damaskus folgende ermunternde Sätze:

„Natürlich interessiert mich und viele Kollegen die Idee der Gründung des Ibn Rushd Funds für Freies Denken sehr. Ich möchte hiermit auch meine Bereitschaft erklären, mit Ihnen und Ihrem Fund zusammenzuarbeiten bei allem, was seinen Zielen förderlich wäre und stehe ihren Zielen zu Diensten. Ich möchte auch meine große Bewunderung für Ihre Initiative zum Ausdruck bringen, die unser aller Bewunderung und Mithilfe und Zusammenarbeit verdient. Meine herzlichsten Glückwünsche für das gesamte Projekt. Ich bedanke mich auch sehr für Ihr Interesse an meinen schriftstellerischen und kulturellen Aktivitäten und Publikationen.“

Ich kannte Al-Azm damals, im Jahre 1998, noch nicht persönlich. Diese Ehre hatte ich erst zehn Jahre später  in Berlin. Er war der Mensch, wie ich ihn in seinen Schriften kennen gelernt hatte: Ein ruhiger, vernunftbetonter, rationaler Mann, der mit seinen Positionen und Gedanken über jeder Politik und Ideologie stand. Al-Azm verbrachte sein ganzes Leben für den intellektuellen Diskurs in Verteidigung von Freiheit, Gerechtigkeit und Menschenrechte für eine neue moderne arabische Gesellschaft.

Möge Sadiq Jalal al-Azm in Frieden ruhen. Er wird immer in unserem Bewusstsein lebendig bleiben. Al-Azms Denken kam (zu) früh für seine Zeit – seine Ideen werden für zukünftige arabische Generationen weiterhin von größter Bedeutung und Wirkung sein.

Nabil Bushnaq

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