Sadiq al-Azms Texte – ein Vergleich von Beirut nach Berlin

العربية

von Fadia Foda

Vorgetragen am 07. Februar 2017 bei der Gedenkveranstaltung für for Prof. Sadiq Jalal Al-Azm.

Guten Abend,    

Ich habe Sadiq Jalal Al-Azm zum ersten Mal im an Beirut angrenzenden Flüchtlingslager Burj el-Barajneh kennen gelernt. Ich war damals vierzehn oder fünfzehn Jahre alt, ich kannte ihn nicht persönlich, sondern nur durch das Buch „Selbstkritik nach der Niederlage“ aus der neugegründeten Bibliothek der Palästinensischen Frauenunion, die viele zum Lesen animierende Büchern enthielt.

Ich nahm dieses Buch mit der Absicht, meine umgebende Welt durch das Lesen von Sachbüchern (i.e. ernt, kein Roman..) besser zu verstehen. Ich las das Buch ohne Hintergrundkenntnisse/Grundwissen/Vorwissen. Ich las es sogar mehrfach, doch mein junger Verstand und begrenztes Wissen halfen mir nicht den Inhalt zu verstehen, das Buch war wie ein Fluch. Ich musste an das Lied von Fairuz denken: „Wir waren noch jung und unerfahren“, ja, auch ich war jung und mein Verstand noch unreif. Kurz gesagt, mit diesem Buch fing meine Interesse für Sachbücher an, der Inhalt Schockierte und forderte mich aber auch heraus.

Im Laufe der Zeit las ich alle erschienen Bücher von Al-Azm, die ich in die Hand bekam. Natürlich war die Situation bald eine andere. Und ich verstand nach Jahren endlich was er in seinen Büchern sagen will.

Bei seinem ersten Besuch in unserem Haus in Berlin erzählte ich ihm verlegen über meine anfänglichen qualvollen Versuche, seine Schriften zu verstehen. Mit Geduld und Höflichkeit hörte er meiner Schilderung sehr interessiert und aufmerksam zu.

Heute kann ich sagen, dass in dem Buch „Selbstkritik nach der Niederlage“, welches zu lesen mich große Mühen gekostet hat, Al-Azm die Niederlage von 1967 rational und kritisch untersucht hat, und er sowohl der politischen Führung als auch die Gesellschaft verantwortlich für die Niederlange fand. Diese Niederlage war ein Schock für die besiegten Araber. Indem er das Wort Niederlage anstelle des üblichen weichen Wortes Naksa („Rückschlag“) verwendete, wollte er sich ganz bewusst distanzieren von der gängigen Verleugnung und des Fehlens einer historischen Verantwortung.

Al-Azm erkannte, dass die Niederlage die arabischen Regime in eine Krise gestürzt hat, die ihre Legitimität gefährdete. Alle Regime verloren damit ihre Symbolik und ihr Ansehen unter den arabischen Bürger. Die Menschen wurden empfänglich für neue Erklärungen dafür, was aus den arabischen Staaten geworden ist. Al-Azm stellte eine Neigung in der arabischen Charakter fest, nämlich die Verantwortung von sich zu weisen und immer bei anderen zu suchen. So war die Niederlage immer auf externe Faktoren zurückgeführt würde. Er sagte: „Für uns als Intellektuelle der sechziger Jahre des zwanzigsten Jahrhunderts war die Niederlage ein Wendepunkt der uns erlaubte die Dinge anders zu sehen. Die Niederlage korrigierte die vorherrschenden Illusionen und Vorstellungen, die voll von vernunfts- und realitätsfernen Heldentum und mit Großen Parolen waren.

Seine Schriften waren für unsere Generation in Beirut wie geistige Nahrung und Quelle der Bildung, in einer Zeit, in der wir den Bürgerkrieg (und seine Folgen) in Libanon täglich erlebten.

Uns, der jungen aufstrebenden Generation, verlangte und durstete es nach Allem, was unseren Geist ansprach. Wir suchten in den Seiten der Bücher nach neuen Ideen.

In seinem Buch „Über die Liebe und der platonischen Liebe“ versucht Al-Azm den poetischen Diskurs zu analysieren. Dabei enthüllt er die Heuchelei/Verlogenheit zwischen Wort und Tat. Er verdeutlicht, dass Bilder der Liebe verwendet werden und diese jedoch mit Enthaltsamkeit und Jungfräulichkeit gefärbt werden auf der Suche nach der ersehnten Reinheit oder der Reinigung von der Realität des Beischlafs.

Al-Azm erklärt, wie diese sogenannte Liebe von der Illusion mit den Masken der Jungfräulichkeit bedeckt ist, die im Laufe der Zeit selbst zu einer gelobten Charaktereigenschaft wird, die als Symbol für den abwesenden gewünschten Liebesakt oder den unerreichbaren Geliebten wird. Al-Azm war es gelungen, in seinen Studien die Dichtung in ihrem historischen Kontext zu setzen. Aus seiner Untersuchung des historischen Erbes konnte er Lehren, Weisheiten und Fragestellungen ableiten, die außerhalb des religiösen und heiligen Rahmens zum Nachdenken animieren. Er schockiert bewusst den Leser, um ihn zum Forschen und Suchen zu ermutigen.

Al-Azm setzte seinen Widerstand gegen die Mentalität der Ausgrenzung, der Verunglimpfung, der Blasphemie und Unterdrückung fort. In seinem Buch „Mentalität des Verbots“, welches im gleichen Jahr erschien wie die Satanischen Verse von Salman Rushdi, in einer Zeit, in der die Hitze der Parolen viele Menschen verblendete, hat Al-Azm diese Denkweise dekonstruiert. In diesem Buch basiert Al-Azms Kritik auf den kulturellen Quellen, insbesondere im Zusammenhang mit den koranischen Text und den Hadithen und dem Reimprosa der Priester.

Das Buch löste ein Sturm der Entrüstung aus, die arabische kulturelle Szene wurde aktiv. Es erschienen viele Gegenartikel und Studien, die er widerlegte und in seinem Buch „Nach der Mentalität des Verbots“ zusammenfasste. Hier war Al-Azm mit seinen philosophischen Ableitungen und Schlussfolgerungen in der arabischen Welt ein Pionier. Er deckte einige Fehler auf, die sich im kollektiven Bewusstsein durch Überlieferung eingenistet haben, ohne die Geschichtsschreibung zu hinterfragen oder mit Vernunft und Logik Die Gedanken und Gegebenheiten zu hinterfragen, die bis dahin für selbstverständlich gehalten wurden, und an die man glauben musste.

Al-Azm war nicht müde, neue Konzepte und Terminologien einzuführen. In einem Vortrag, das der Ibn Rushd Fund für Freies Denken 2012 in Berlin organisiert hatte, hielt er einen Vortrag mit dem Titel „Der säkulare Staat und die religiöse Frage: Die Türkei als Beispiel“. Hier unterscheidet er drei islamistische Tendenzen: „Der Islam als offizieller Staat“, der „Business Islam“ und „der fundamentalistische, talibanische, blasphemische, Gewalt anwendende, dschihadistische Islam.“ Diese islamistische Tendenzen konkurrieren gegeneinander über die Festlegung der Bedeutung des Islam und wer ihn beherrscht/besitzt.

Al-Azms Originalität und Übereinstimmung seines Denkens mit sich selbst sah man in seiner Einstellung zur syrischen Revolution. Er stellte sich als Denker in seiner Analyse und Kritik auf die Seite der Revolution gegen Ungerechtigkeit, Gewalt und diktatorischer Tyrannei.

Al-Azm gilt verdientermaßen als einer der meist gefragten Intellektuellen für Dialog und Diskussion in den schriftlichen, visuellen sowie akustischen, arabischen und westlichen Medien. Er ist in dieser Hinsicht einer der aktivsten syrischen Kultur-Größen. Von ihm stammt der neu erfundene Begriff „Hochspannungs-Islam.“

Er zählt zu den geistreichsten arabischen Intellektuellen, die es geschafft haben, in ein Hornissennest zu stechen, um die politischen, mythischen und religiösen Ikonen abzubauen.

Ich gehörte zu den Glücklichen, die ihn in Berlin näher kannten und es genossen haben, seinen Beobachtungen und Analysen zuzuhören, die wir heute immer noch dringend brauchen. Er ist einer der intellektuellen Araber, tiefgründig in seiner Kritik, und gerne geneigt, eifrige kulturelle Kontroversen zu verfolgen und sich mit Theorien und verschiedenen kritischen und aufklärerischen Meinungen auseinanderzusetzen. Mit seinem Fortgehen ist seine Anwesenheit und sein Geist umso allgegenwärtiger.

Sadiq Jalal Al-Azm, 1000 Mal Friede sei mit deiner Seele.

Fadia Foda

Social media & sharing icons powered by UltimatelySocial