Eine Veranstaltung mit dem Ex-Präsidenten Tunesiens Dr. Moncef Marzouki, Prof Dr Udo Steinbach und Manal Seifeldin
Was unterscheidet das 21. Jahrhundert von den vorhergehenden Jahrhunderten und besonders vom 20. Jahrhundert? An welchen Fakten und Realitäten sollten wir uns orientieren? Wie verstehen wir unsere Welt heute und welche Rolle könnte, oder sollte der Staat dabei spielen, diese globalen und doch auch lokalen Probleme zu konfrontieren oder gar zu bewältigen?
Die Ibn Rushd Lecture Ideologien in der Krise – was sind die Alternativen? mit Dr Moncef Marzouki, Präsident Tunesiens 2011-2014, war am Abend des 17. Februar 2023 in der FORUM Factory in Berlin Kreuzberg gut besucht.
Nach dem einführenden Vortrag Marzoukis diskutierten die aus dem Sudan stammende Ökonomin und Menschenrechtsaktivistin Manal Seifeldin und der bekannte Orientalist Professor Dr. Udo Steinbach, derzeit Leiter des MENA Study Centre bei der MAECENATA Stiftung, Co-Veranstalterin dieses Events, mit Dr. Marzouki, bevor auch das Publikum engagiert in die Diskussion einstieg.
In der arabischen Welt haben Menschen nach wie vor keine Gelegenheit, die Geschicke ihrer Länder mitzugestalten. Zu Beginn des Jahres 2011 war auch in Tunesien Gegenwart und Zukunft trostlos für die allermeisten Bürger:innen, so daß dort die arabischen Revolutionen – häufig als ‚Arabischer Frühling‘ verniedlicht – ihren Auftakt nahmen. Im Fortlauf der Entwicklung hin auf eine Demokratie war Dr. Marzouki der erste Präsident in der modernen Geschichte Tunesiens, der seine Position durch faire und transparente Wahlen erreichte; ein tiefgreifender Schritt für die Geschichte des Landes.
Heute allerdings ist mit der Auflösung des Parlaments, unzähligen Verhaftungswellen und einer neuen Verfassung unter der Regierung des derzeitigen Präsidenten Kais Saied von der revolutionären Veränderung nicht mehr viel übrig. Die gerade erkämpfte Demokratie wurde und wird mit ihren eigenen Mitteln zerstört, so Marzouki; sie werde als Instrument für die Wiederherstellung der Diktatur benutzt. Diese Entwicklung stellt aktuell eine der schwierigsten Herausforderungen des Landes dar – man müsse sich die eigene Naivität eingestehen, und daß man die zarte Pflanze der Demokratie nicht ausreichend beschützt habe gegen übermächtige Gegner verschiedenster Provenienz. Dies, so Marzouki, solle eine Lehre sein für die nächste Generation von Kämpfenden für die Demokratie; denn das Narrativ, daß der ‘Arabische Frühling‘ Geschichte sei und die Länder endgültig zurückgefallen seien in die diktatorischen Verhältnisse, die ihnen angeblich gebührten, sei ein Narrativ das jene streuten, die aus eigenem Interesse die despotischen Regime stützen und von ihnen profitieren.
„Es mag nicht einfach sein, die Welt zu verändern, aber es wäre kriminell, es nicht zu versuchen,“ lautet somit Marzoukis Appell, (nicht nur) an die Jugend Tunesiens und anderer arabischer Länder. Allerdings hätten sich die Probleme geändert – Marxismus, Islamismus und andere -ismen spiegelten Debatten des 19. und 20. Jahrhunderts und trügen nicht dazu bei, weltbedrohende Krisen wie die Klimaerwärmung zu lösen. Für solche Bedrohungen der Existenz der Menschheit und der Erde gelte es, ideologieübergreifend und lösungsorientiert zusammenzuarbeiten.
Soweit diese Zusammenfassung, die den spannenden Vortrag und die engagierte Diskussion nur unzureichend wiedergeben kann.