Pressemitteilung: Ibn Rushd Fund for Freedom of Thought geht an Azmi Bishara

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Der Ibn Rushd-Fund for Freedom of Thought verleiht seinen Preis in diesem Jahr an Dr. Azmi Bishara, einen arabischen Abgeordneten in der israelischen Knesset. Der Preis 2002 für besondere Verdienste um Meinungsfreiheit und Demokratie in der arabischen Welt wird am 14. Dezember 2002 in Berlin verliehen.

Der Ibn Rushd Fund, benannt nach dem Philosophen Ibn Rushd (1126-1198), in der westlichen Welt auch als Averroes bekannt, unterstützt mit seinem Preis Meinungsfreiheit und Demokratie in der arabischen Welt. Der Themenschwerpunkt variiert jährlich: bislang wurden Personen in den Bereichen Journalismus, Frauenrechte und Geisteswissenschaft ausgezeichnet. In diesem Jahr nun wurde der Preis ausgelobt für eine arabische Persönlichkeit, die sich als Mitglied eines Parlamentes besonders für die Demokratie eingesetzt hat.

Die Wahl der unabhängigen Jury fiel auf Dr. Azmi Bishara. Der 1956 in Nazareth geborene palästinensische Intellektuelle ist israelischer Staatsbürger und seit 1996 Abgeordneter der israelischen Knesset. Bereits als Gymnasiast begann er, politisch aktiv zu sein, als Student war er Mitbegründer der Union arabischer Studenten, der ersten politischen Organisation dieser Art in Israel. Von 1980 bis 1985 studierte er an der Berliner Humboldt-Universität Philosophie und Politische Wissenschaften. Er ist Mitbegründer des Palästinensischen Instituts für Demokratie-Studien Muwatin (Der Bürger) in Ramallah, wo er bei der Veröffentlichung wichtiger Studien zum Thema Demokratie mitwirkte. Von 1986 bis 1996 hatte er einen Lehrstuhl für Kulturwissenschaft, Philosophie und Politische Theorie an der Bir-Zeit Universität bei Ramallah. Außerdem forschte er von 1990 bis 1996 am Jerusalemer Van Leer-Institut.

Als arabischer Abgeordneter der Knesset setzt Bishara sich für die Rechte der arabischen Bürger Israels ein; zudem unterstützt er den Kampf um Unabhängigkeit der in der West Bank und Gaza lebenden palästinensische Bevölkerung. 1999 kandidierte er für das Amt des Ministerpräsidenten, um eine politische Alternative zur Linie der Arbeiter-Partei und des Likud zu schaffen. Sein Ziel war, Missstände wie die folgenden auf die politische Agenda setzen: die politische Diskriminierung der arabischen Bürger Israels, Enteignung arabischen Landes, die Nicht-Anerkennung arabischer Dörfer.
Israel wird in westlichen Ländern gerne als einzige liberale Demokratie im Nahen Osten bezeichnet. Bishara stellt dies in Frage und kritisiert, daß Israel ein Staat für nur einen Teil seiner Bürger sei: der Zustand der Besatzung ähnele im Wesen dem System der Apartheid. Seine Kernthese ist, dass Israel auf Dauer kein jüdischer Staat bleiben könne, wenn es demokratisch bleiben wolle. Ein wahrhaft demokratischer Staat müsse Staat und Religion trennen und die Interessen aller seiner Bürger vertreten, anstatt Religion und Staat zu verquicken, und so die Religion für politische Zwecke instrumentalisieren zu können. Derzeit würden die etwa eine Million arabischer Bürger Israels, zwanzig Prozent der Bevölkerung, in vielen Bereichen spürbar benachteiligt.

Bereits frühzeitig kritisierte Bishara die israelischen Bedingungen der palästinensischen Autonomie als „Separation ohne Souveränität“. Nur eine Lösung auf der Basis von Gleichheit und Gerechtigkeit könne von Dauer sein, wie zwei Staaten für zwei Völker, oder ein demokratischer, säkulärer und binationaler Staat.

Bishara ist sich seiner Wirkung als demokratischer arabischer Politiker auf andere arabische Länder bewußt. Er weiß, daß er eine Vorbildfunktion hat, wenn er im Parlament eine Rede gegen die Politik Scharons hält: „Mit Hilfe des Fernsehens kann die ganze arabische Welt zusehen. Die arabische Welt fragt sich sehr wohl ‚Wie schimpfen Sie und sagen solche Dinge und greifen den israelischen Premierminister an, […] und niemand wirft Sie ins Gefängnis, zumindest nicht direkt?‘ Ich kann schon sagen, daß dies eine Wirkung zeigt.“ So nutzt Bishara die mediale Außenwirkung dieses demokratischen Kampfes für die politische Bewußtwerdung der Bürger arabischer Staaten, deren Systeme weniger demokratisch sind.

Derzeit droht Bishara ein Gerichtsverfahren in Israel: seine Parlamentskollegen stimmten bereits Ende 2001 für eine Aufhebung seiner Immunität. Dies ist ein Novum in der israelischen Geschichte, in der noch niemals eine politische Rede eines Volksvertreters ein gerichtliches Nachspiel hatte.
Der Ibn Rushd Preis für Freies Denken wird am 14. Dezember in Anwesenheit des Preisträgers übergeben. Der Festakt beginnt um 11.00 Uhr in den Räumlichkeiten der Werkstatt der Kulturen in Berlin-Neukölln.

21.10.2002

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