Editorial – Heft 18 Winter 2015/2016

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Liebe Leserinnen,
liebe Leser

diese Sonderausgabe von Minbar Ibn Rushd widmet sich der Gefängnisliteratur, Thema des Ibn Rushd Preises für Freies Denken 2015.
Wir beginnen mit einem Essay der verstorbenen ägyptischen Schriftstellerin und Literaturkritikerin Radwa Ashour über die Gefängnisliteratur. Sie setzt sich literaturkritisch mit den Werken ehemaliger politischer Gefangener auseinander, die in berüchtigten Gefängnissen wie al-Wahat, Tazmamart oder al-Khayyam in politischer Haft waren. Beeindruckende Werke über das Leben und Leiden in diesen Gefängnissen haben Ibrahim Toukan und Aisha Odeh aus Palästina, Sonallah Ibrahim und Habahsi aus Ägypten, Rachid Benaissa und Ahmed Marzouki aus Marokko sowie Soha Bishara aus dem Libanon verfasst.

In der Einleitung zu ihrer Autobiografie  „Träume von der Freiheit“ erfahren wir von den Konflikten und dem inneren Ringen einer ehemaligen politischen Gefangenen, Aisha Odeh, Trägerin des Ibn Rushd Preises für Freies Denken für Gefängnisliteratur im Jahr 2015. In „Erfahrung mit dem Schreiben“ schreibt sie von ihrem Kampf und den Schmerzen, die sie bei der Verarbeitung ihrer Erinnerungen durchlebt, und von der langen Suche nach einer geeigneten Sprache, die sie nach Jahren und langem Zögern findet. „Ich hatte das Gefühl, dass ich eine Wand durchdrungen und meine persönliche Sprache gefunden habe.“

Den zweiten Text, den wir bringen, ist ein Auszug aus Ahmed Marzoukis Autogiografie „Tazmamart, Zelle 10“, für die er 2015 den 2. Ibn Rushd Preis für Freies Denken erhielt. Als Offizier wurde der Marokkaner al-Marzouki 1971 unfreiwillig in den Skhirat-Putschversuch gegen König Hassan II. verwickelt. Ein Militärgericht verurteilte ihn zu fünf Jahren Haft, aus denen 20 Jahre wurden. 18 davon verbrachte er im Wüstengefängnis Tazmamart, in dem viele seiner Mitgefangenen aufgrund der Haftbedingungen starben. Erst infolge des unnachgiebigen Drucks internationaler Menschenrechtsorganisationen kam al-Marzouki 1991 frei. In seiner Autobiografie legt er ein in seiner Tiefe und seinen Details bewegendes Zeugnis seiner Haft ab. Der Auszug “ Der langsame Tod des Muhammad Lghalu“ beschreibt das erschreckende Schicksal eines Mitgefangenen, der während der Gefangenschaft erkrankt war.

Ein ganz anderes Bild zeichnet Mustafa Khalifa von seinen Erfahrungen in syrischen Gefängnissen. Er kam aufgrund seiner politischen Aktivitäten bereits als Jugendlicher zweimal ins Gefängnis; der letzte Aufenthalt dauerte 15 Jahre. In seinem Roman „al-Qawqa’a, yawmiyyat mutalassis“ (Die Kapsel, Tagebuch eines heimlichen Beobachters), aus der wir einen übersetzten Auszug bringen, macht Khalifa, der mehrere Gefängnisse (vor allem Palmyra und Saidaniya) erlebte, den Leser zum Zeugen von Gewalt und Ungerechtigkeit unter Bashar el Assad. Wir verlinken auf einem Auszug des Romans auf der Website „Andere Geschichten“ in einer Übersetzung von Elisabeth Jaquette.

Im nächsten Beitrag analysiert Dr. Hassan Kamel Ibrahim die Philosophie des gewaltlosen Widerstands des  amerikanischen Politikers und Schriftstellers Henry Thoreau, der im neunzehnten Jahrhundert lebte. Er war ein Freund der Natur und Anhänger eines idealen Transzendentalismus aus mystischer Sicht, der auch Mahatma Gandhi und Martin Luther King beeinflusst hat und dessen zentrale Idee es war: “Die beste Regierung ist die, welche am wenigsten regiert“ (Thoreau).

Prof. Dr. Kadhim Habib bietet uns eine weitere analytische Studie des Buches von Mohamed Mahmoud „Das Prophetentum Muhammads: Geschichte und Konstruktion: Einführung in eine kritische Lektüre“, nachdem sich in der letzten Ausgabe von Minbar schon Dr. Hamid Fadlalla damit auseinandergesetzt hat. Die Hauptschwierigkeiten, so der Autor Mohamed Mahmoud, liegt in der Notwendigkeit, das Heilige von allem zu entziehen, wenn man beabsichtigt, es bis auf den Grund genau wissenschaftlich zu erforschen, um solide Tatsachen – anstelle von festen Vorstellungen – erreichen zu können.
Die wichtigste Schlussfolgerung, zu der Mohamed Mahmoud kommt, ist die Annahme, die er in der Einleitung zu seinem Buch postuliert und die er über 13 Kapitel argumentativ verfolgt: „In diesem Buch untersuche ich das Prophetentum Muhammads und Prophetie allgemein und gehe dabei von der These aus, dass die Prophezeiung ein rein menschliches Phänomen ist, und dass nicht der Gott die Prophetie, die von ihm erzählt, erfunden und erschaffen hat, sondern dass das Prophetentum ihren Gott erfunden und erschaffen hat.“

Wir enden Minbar mit der aktuellen Rezension eines Sachbuches, das 2015 im Beck Verlag erschienen ist, und von Politikern und Islamwissenschaftlern gleichermaßen große Aufmerksamkeit erhielt: „Wer den Wind sät: Was westliche Politik im Orient anrichtet“ vom Nahostexperten Michael Lüders. Das Buch thematisiert das Versagen westlicher Politik im Nahen Osten. Lüders analysiert die Auswirkungen der westlichen Politik und die Ursache der Unruhen und Kriege in Afghanistan, Irak, Syrien, Libyen und den Rest der arabischen Welt und kritisiert dabei die israelische Politik und ihre Kriege in Gaza – kommentiert von Hamid Fadlalla.

Viel Spaß beim Lesen!

Abier Bushnaq

30.12.2015

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