Begrüßung des Funds

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Welcome speech of the Ibn Rushd Fund (held by Dr. Hamid Fadlalla) on occasion of awarding the Ibn Rushd Prize 2014 to Rachid al-Ghannouchi

Simultanübersetzung: Dr. Günther Orth

Verehrte Damen und Herren,
ich freue mich, Sie sowie alle anwesenden Vertreter der Botschaften der arabischen Staaten, der Arabischen Liga, des Auswärtigen Amtes und alle anwesenden Vertreter deutscher und arabischer Vereine und Organisationen, Institutionen und der Presse – im Namen des Ibn Rushd Funds heute hier – bei der diesjährigen Verleihung des Ibn Rushd Preises für Freies Denken an den tunesischen Politiker und islamischen Denker Scheich Rachid al-Ghannouchi – begrüßen zu dürfen.

Ich freue mich ganz besonders, unseren diesjährigen Laudator, den Islam- und Politikwissenschaftler Michael Lüders, in Berlin zu begrüßen. Dr. Lüders, wir bedanken uns herzlich für Ihr Kommen, und dafür, dass Sie uns mit Ihrem sachkundigen Beitrag unterstützen, Rachid al-Ghannouchi heute zu ehren. Herzlich willkommen!

Ganz herzlich danken wir auch der Werkstatt der Kulturen dafür, unsere Feier in ihren Räumlichkeiten veranstalten zu dürfen.

Verehrte Damen und Herren,
seit Beginn der arabischen Revolution, die im Jahr 2011 nach Jahrzehnten der Erniedrigung und Tyrannei aus dem Verlangen der arabischen Völker nach einer besseren Zukunft, Gerechtigkeit und ein Leben in Freiheit, Selbstbestimmung und Würde ausgebrochen war, und die zum Zusammenbruch von vier autoritären Regimen führte, lebt die arabische Welt immer noch in einem Zustand des Zerfalls, der Gesetzlosigkeit, der sektiererischen Polarisation, der ethnischen, religiösen, regionalen sowie internationalen Interventionen. Die Revolution endete in brutalen Bürgerkriegen.

Wegen der wichtigen Rolle, die die Religion im alltäglichen Leben spielt, und aus der tiefen Überzeugung heraus, dass eine Perspektive der Erneuerung, der demokratischen Entwicklung und Hochschätzung zivilgesellschaftlicher Werte wichtig sind, um eine bessere Zukunft für die arabischen Völker zu ermöglichen, haben die Mitglieder des Ibn Rushd Funds entschieden, den 2014 Ibn Rushd Preis auszuschreiben für eine Person,

die einen modernen Islam als Stütze der Zivilgesellschaft erachtet und so, sei es durch ihr theoretisches Werk oder ihr politisches Handeln, die Etablierung eines modernen demokratischen arabischen Staates fördert oder gefördert hat.

In den 16 Jahren seit seinem Bestehen wendet der Ibn Rushd Fund erfolgreich eine bewährte demokratische Methode an, um die Gewinner seiner jährlich vergebenen Preise auszuwählen. Der Preis wird jedes Jahr über die Medien in mehreren Sprachen ausgeschrieben. Jeder Interessierte kann sich beteiligen und einen Kandidaten nominieren, der sich für das ausgeschriebene Thema qualifiziert. Wie in jedem Jahr wurde eine unabhängige, ehrenamtlich tätige Jury aufgestellt, um den Preisträger aus der Kandidatenliste zu wählen.

Die Jury – der ägyptische Philosoph Hassan Hanafi (Ägypten), der sudanesische Politikwissenschaftler Abdelwahab El-Affendi (Sudan), der jemenitische Autor Habib Abdulrab Sarori (Jemen) und die jordanische Politikerin und Menschenrechtsaktivistin Toujan al-Faisal (Jordanien) – wählte von insgesamt elf Kandidaten aus sieben arabischen Ländern Rachid al-Ghannouchi als den diesjährigen Preisträger aus. Es ist das sechzehnte Mal in Folge, in der der Preis vergeben wird.

Wir möchten unseren Respekt für die Entscheidung der Jury aussprechen und hier auch bekräftigen, dass die Entscheidung der Jury richtig war und Symbolcharakter aufweist, und dass der Ibn Rushd Fund diese Entscheidung nicht nur formal akzeptiert, sondern auch begrüßt und unterstützt.

Die Bedeutung des Ibn Rushd Preises für Freies Denken liegt in seinem symbolischen Wert. Er wird ausschließlich durch Beiträge, Spenden und Zuwendungen von den Mitgliedern und Freunden des Funds finanziert.

Verehrte Gäste:
Wir ehren heute den islamischen Denker und politischen Kämpfer Rachid al-Ghannouchi. Er ist ein wichtiger Wegbereiter eines modernen Islam. Für seine Überzeugungen und Zukunftsvisionen für sein Land musste er Gefängnis und Exil erleiden.

Auch wenn Rachid al-Ghannouchi kein Unbekannter ist, so möchten wir einleitend zu unserem Festakt doch einige Worte über ihn sagen.
Herr al-Ghannouchi, Sie haben 1993 in Ihrem Buch über die allgemeinen Freiheiten in einem islamischen Staat كتاب الحريات العامة في الدولة الاِسلامية   geschrieben,

„Demokratie ist kein so einfacher Begriff, wie man vielleicht glauben mag. Demokratie ist nichts Absolutes, sondern eine von vielen Möglichkeiten. Der Islam ist nicht zwingend ein Widerspruch zur Demokratie, vielmehr gibt es viele Schnittstellen und Gemeinsamkeiten, die eine stabile Basis darstellen zum Vorteil aller für ein friedliches Zusammenleben, auch wenn sie beide offenbar unterschiedlich ausgelegt werden.“

In einem Symposium zum Thema „Religion und Staat in der arabischen Welt“, das vom 15.-17. Oktober 2012 in Tunesien stattgefunden hat, sagen Sie, Herr al-Ghannouchi (Zitat):

„Der Säkularismus ist keine atheistische Philosophie, er ist vielmehr die Umsetzung von Maßnahmen und Vorkehrungen, die man machen muss, um die Freiheit des Glaubens und Denkens zu gewährleisten.“

Sie schließen Ihr Statement mit der Folgerung:

„Deshalb sollten wir das Prinzip der Bürgerschaft akzeptieren, und anerkennen, dass das Land weder Zayd noch Amr, noch dieser oder jener Partei gehört, sondern allen Bürgern. Alle Bürger, unabhängig ihrer Glaubensrichtung, ihrer Rasse, unabhängig davon, ob sie Mann oder Frau sind, genießen im Islam die gleichen Rechte: das Recht, zu glauben, was immer sie wollen, solange sie den Respekt füreinander bewahren, und zu handeln nach dem Gesetz, das sie durch ihre Vertreter im Parlament mitbestimmen.“

Sie haben in einem Interview mit der weit verbreiteten deutschsprachigen Wochenzeitschrift Die ZEIT am 04. April 2013 gesagt:

„Wir akzeptieren das gesamte Spiel der Demokratie, ohne Ausnahme. Die Vorstellung, man könne eine Gesellschaft in eine Einbahnstraße treiben, ist außerdem naiv.“

(http://www.zeit.de/2013/15/islam-demokratie-ghannouchi)

Im gleichen Interview fahren Sie fort:

„Im Islam gibt es Pluralität. Niemand kann von sich sagen, er sei der Sprecher Gottes oder des Korans. Und der Koran ist ein Text. Also lässt er sich auf vielerlei Weise interpretieren.“ (ibid)

Ein Kernsatz von Ihnen lautet:

„Die Demokratie als eine Prozedur der Entscheidung ist daher nicht bloß kompatibel mit dem Islam, nein, der Islam braucht sie regelrecht.“ (ibid)

Sie sagten an einer anderen Stelle „Die Freiheit gehört uns, aber sie gehört gleichzeitig auch anderen.“ Das ist ein aussagestarker Satz! Wir möchten von unserer Seite hinzufügen: Nicht alles, was von der Freiheit – individuell oder kollektiv – kommt, ist rechtmäßig oder korrekt. Freiheit schützt nicht vor Fehlern, aber sie gibt allen Bürgern das Recht, zu prüfen, zu hinterfragen und zu korrigieren. Wie also können wir frei sein ohne dass wir die Freiheit missbrauchen?

Sie haben sich auch zur Freiheit des Glaubens geäußert:
Der Koran sagt ausdrücklich:

„In der Religion gibt es keinen Zwang.“ (…) Ich bin nach langem Nachdenken zu dem Schluss gekommen, dass das auch bedeutet: Jedem steht es frei, sich in unseren Glauben zu begeben – und ihn auch wieder zu verlassen. (ibid)

Sie haben Ihre politischen Gegner, die Opfer der Ben Ali-Diktatur waren, in Schutz genommen. Zwei von unzähligen Beispielen seien hier genannt: die Menschenrechtsaktivistin Sihem Bensedrine und der Politiker und Menschenrechtsaktivist Moncef Marzouki. In einem Interview haben Sie einmal  gesagt, wenn die Kommunistische Partei auf demokratischem Wege die stärkste Partei Tunesiens geworden wäre, würden Sie die Wahl akzeptieren und nicht protestieren. Wegen dieser Haltung sind Sie von lokalen und arabischen muslimischen Führern scharf kritisiert worden.

In einem Interview, das in der diesjährigen April-Ausgabe der weitläufig bekannten arabischen Zeitschrift al-Mustaqbal al-Arabi (Nr. 422/2014) erschienen war, antworteten Sie auf die Frage, welchen Gewinn die an-Nahda-Partei während ihrer zweijährigen Regierungszeit in Tunesien erzielt habe:

„Den Gewinn, den wir erzielt haben, ist, dass wir Tunesien ans sichere Ufer führen konnten, dass Tunesien seine eigene Verfassung und eine Basis für freie Wahlen hat, und wir Tunesien in die demokratischen Bahnen lenkten. Dies ist der größte Gewinn für Tunesien und der an-Nahda-Bewegung. Dies haben wir auch zweifelsfrei erreicht. Es gibt in der gesamten arabischen Welt keine vergleichbar positive Erfahrung, die zu nationalem Dialog, zu Aussöhnung und partizipativer Demokratie – anstelle zu Konflikt und demokratischem Machtkampf – geführt hat.

Dies sind klare Worte al-Ghannouchis, gesprochene oder geschriebene, die wir hier gewissenhaft wiedergeben.

Verehrte Gäste:
Als sich der junge Tunesier Bouazizi im Jahr 2011 selbst verbrannte und den Funken auslöste für einen Brand, der um die arabischen Welt ging, der dazu führte, dass sich sein Heimatland in eine Revolution stürzte, die einen bahnbrechenden Wandel bedeuten sollte, und angesichts der Bedeutung der Situation, welche Einigung und Kompromiss einforderte, haben sich alle einflussreichen, gesellschaftlich-politischen Akteure in einer Koalition vereint: angefangen von den  muslimischen Parteien über die Liberalen und die Säkularen bis zu Arbeiter- und Frauenunionen, die alle unter dem ehemaligen Regime viel Leid erfahren haben. Sie haben sich vereint, um Gesetzlosigkeit, um das Abdriften in einen verheerenden Bürgerkrieg zu vermeiden, und sie taten es, um den Opfern Ehre zu erweisen, die für ihre Heimat mit ihrem Blut zahlten. Gekrönt wurde diese Koalition am 26. Januar 2014 mit dem Inkrafttreten der Verfassung, die auf einem demokratischen Zivilstaat, auf dem Bürgertum, auf Religions- und Glaubensfreiheit und der Würde des Menschen, den Menschenrechten, dem Rechtsstaatsprinzip und der Festigung der Säulen der Zivilgesellschaft basiert.

Wird unserem geliebten Tunesien – allen Widrigkeiten zum Trotz– der Übergang von der politischen Revolution zur sozialen Revolution gelingen? … für soziale Gerechtigkeit, für Wohlstand und für Festigung der Demokratie, damit Tunesien beweisen kann, dass die arabischen Völker ihre Probleme ohne Einmischung von außen – im Rahmen eines friedlichen Zusammenlebens und eines konstruktiven politischen Dialogs – allein lösen können?

Das hoffen wir von ganzem Herzen!
Lieber Herr al-Ghannouchi, abschließend möchte ich Sie wiederholt herzlichst willkommen heißen.

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