Laudatio: Erik Hillestad

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Laudatio von Erik Hillasted anlässlich der Verleihung des 15. Ibn Rushd Preises am 15. November 2013 an Rim Banna, im Museum für islamische Kunst, Pergamonmuseum, Berlin.

Laudatio für Rim Banna anlässlich der Verleihung des Ibn Rushd Preises 2013 von Erik Hillestad, Musikproduzent und Lyriker, Norwegen

Meine erste Begegnung mit Rim

Ich traf Rim Banna vor elf Jahren zum ersten Mal. Es war im Jahr 2002, ich reiste durch Palästina. Die Welt war scheinbar im Begriff, eine neue Ebene des Antagonismus zwischen Ost und West zu erklimmen, deutlich gefördert von unklugen Staatsmännern wie George W. Bush. Er bezeichnete einige Nationen als ‚Achse des Bösen‘, und ich war bis auf den Grund provoziert von seinen Worten. Ich beschloss, das Gegenteil von dem, was er vorschlug, zu tun. Ich wollte keins der wahrscheinlichen Mitglieder dieses ehrenhaften Clubs des Bösen fürchten. Ich wollte sie besuchen, eines nach dem anderen, um Schlaflieder zu sammeln. Mein Ziel war es, das Projekt der ‚Lullabies from the Axis of Evil‘, Schlaflieder von der Achse des Bösen, durchzuführen.
Es war kurz vor Weihnachten, und ich fuhr die Hügel rund um die Stadt Nazareth hinan, zusammen mit dem Direktor des Nationalen Musikkonservatoriums in Palästina, Herrn Suhail Khoury, der seit 1992 mein Freund war. Er sagte mir daß, wenn ich auf der Suche nach Kinderliedern sei, Rim Banna die beste Wahl wäre. Ich hatte nie von Rim gehört und daher keine besonderen Erwartungen.

Das Treffen wurde jedoch zu einem entscheidenden Moment für mich. Ich saß in Rims Schlafzimmer, dem einzigen ruhigen Ort in der kleinen Wohnung der Familie, und sie begann ‚Ya lel ma atwalak‘ zu singen, ein Schlaflied, das eine Geschichte erzählt, die die Geschichte des palästinensischen Volkes reflektiert.
Ich hatte in keinster Weise die Kraft der Schönheit, der Trauer und der Sehnsucht erwartet, die mich umgab, sobald Rim zu singen begann. Tränen stiegen mir in die Augen, und ich begriff, was für eine wunderbare Stimme und Vertreterin Rim für ihr Volk war. Ich würde gerne jetzt diese Aufnahme aus dem Schlafzimmer anhören, die später in Norwegen von norwegischen Musikern und Sängern unterstützt und ausgeschmückt wurde, die die Originalaufnahme aus Nazareth benutzten, und Rims Lied mit ihren Klängen einrahmten.

Abspielen des Liedes “Ya lel ma atwalak”  (Ein palästinensisches Schlaflied)

Ihre Platten, ihre Konzerte

Schon ein Jahr nach unserer ersten Begegnung arbeiteten Rim und ich an zwei Projekten zusammen. Eins war eine Weihnachtsplatte mit einem norwegischen Chor, das andere Rims erstes international veröffentlichtes Soloalbum ‚Mirrors of my Soul‘, für das Rim eigene Melodien zu Gedichten komponiert hatte, von denen viele aus der Feder ihrer Mutter Zuhaira Sabbagh waren. Dies war der Beginn einer langanhaltenden Zusammenarbeit, durch die Rim eine neue Plattform zur Kommunikation mit der arabischen Welt aufbauen konnte und die Schönheit und Stärke ihrer Stimme und ihrer Lieder zeigen konnte. Aus dem besetzten Palästina die arabische Welt zu erreichen, war nicht einfach. Von Norwegen aus war es zumindest einigermaßen möglich, und Rims Lieder wurden von EMI Arabia in Dubai und einem wichtigen Großhändler in den USA vertrieben. Danach brachte sie drei weitere Soloalben heraus und wirkte an Projekten mit Künstlerinnen und Künstlern aus verschiedenen anderen Ländern der Welt mit. Ihr jüngstes Album namens ‚Revelation of Ecstacy and Rebellion‘, zeigt klassische arabische Sufi-Lyrik in einer völlig neuen musikalischen Ausdrucksweise, zusammen mit dem international bekannten norwegischen Jazzpianisten Bugge Wesseltoft und anderen Musikern aus Tunesien, Palästina und Norwegen.

Über konventionelle Verteiler und über Internetseiten wie YouTube und soziale Medien hat sie es geschafft, ihre Musik weltweit zu verbreiten, und bekommt so heute Fanmails und Nachrichten von Freunden und Bewunderern aus vielen Ländern in beiden Hemisphären.
 
Ihre Rolle als starke Stimme für das palästinensische Volk

Im Westen haben wir eine lange Tradition der Doppelmoral. Wir wollen uns der zum Opfer gemachten ‚gerechten und unserer Achtung werten Bedürftigen‘ annehmen. Aber wir wollen auch die Welt beherrschen und skrupellos unsere eigenen Interessen verfolgen. Dies führt dazu, daß wir den armen Opfern über unsere vielen NGOs Almosen zukommen lassen, und gleichzeitig unser Bestes tun, eine Politik zu betreiben, die den Weg vieler Länder in die Freiheit, die Demokratie und den Wohlstand unterminiert.
Was Rim so herausfordernd in dieser Hinsicht macht, ist daß sie die Rolle des Opfers in keinster Weise erfüllt. Die Schönheit und die Stärke ihrer Stimme zwingen uns, zu verstehen, daß das palästinensische Volk voller Stolz und Kraft ist, und über ein umfangreiches Erbe und eine große Identität verfügt. Aus diesem Grund ist Rim solch eine wichtige Sprecherin für die Sache ihres Volkes und für ihr Volk.
Hier ist ein Beispiel von ihrer letzten CD:
Abspielen des Liedes “The Absent One” (ein Gedicht von Rashed Hussein)

Ihr furchtloser Kampf gegen die israelische Besatzung

Ihre ganze Karriere hindurch hat Rim mit Entschiedenheit und Nachdruck über die israelische Besatzung ihrer Heimat gesprochen. Sie hat viele furchtlose Schritte unternommen, um sich den Rahmenbedingungen und Begrenzungen zu widersetzen, die der Staat Israel den Palästinensern aufzwingen wollte.
Sie empfindet eine tiefe Zuneigung für ihr Publikum in vielen Ländern, besonders aber für die Menschen, die unter der Bürde der Besatzung in der West Bank, in Gaza und in den Flüchtlingslagern der Nachbarländer leben. Viele Male hat sie trotz Verbots die Flüchtlingslager im Westjordanland besucht, um für die Kinder dort zu singen, und hat verschiedene Konzerte unter sehr schwierigen Bedingungen gegeben, sogar unter dem Risiko, von israelischen Soldaten verhaftet, verletzt oder schikaniert zu werden. Gaza durfte sie noch nie besuchen. Aber sie schaffte es, dort ein Konzert für ein Publikum von 500 zu geben, indem sie eine Fernsehübertragung aus ihrem Haus einrichtete. Das Publikum konnte sie in einem Veranstaltungsort in Gaza City auf einem großen Bildschirm sehen, und Rim konnte das Publikum live auf einem Bildschirm bei sich zu Hause sehen. Sie und ihr Publikum konnten sogar zeitgleich gemeinsam rufen ‚Wir können die Belagerung durchbrechen!‘

Ihre Beziehung zur arabischen Welt

Durch ihre Lieder und ihre Platten, aber auch durch viele Konzerte und Festivals ist Rim zu einer Ikone der Musik in der arabischen Welt und anderswo geworden. Sie spürte und verstand bereits frühzeitig den revolutionären Geist, der in den arabischen Ländern wuchs, und der sich Anfang 2011 in massiven Demonstrationen Bahn brach. Sie reiste nach Tunesien und Ägypten, um dort spontane Konzerte in den Straßen und auf den Plätzen zu geben, und so ihre Unterstützung zu bekunden. Für die Menschen im Libanon trat sie über Skype auf, und bereits zu Beginn des Aufstands in Syrien drückte sie sehr klar ihre Unterstützung aus, und wurde dafür von Anhängern des syrischen Regimes heftig angegriffen. Und manchmal sang sie ohne irgendetwas außer ihrer eigenen, unbegleiteten Stimme als Mittel der Kommunikation zu Tausenden auf den Plätzen von Tunis und Kairo.

Für mich persönlich ist es stets verblüffend gewesen, wie Türen sich auftaten in Ländern wie Libanon, Ägypten, Syrien und Tunesien, nur dadurch, daß ich Leuten erzählte, ich sei der Produzent von Rim Bannas Platten. Es ist eine eindeutige und offensichtliche Tatsache, daß sie sehr respektiert und geschätzt wird als eine der wichtigsten Freiheitskämpferinnen des palästinensischen Volkes und der arabischen Welt als Ganzem. Ihre Integrität und die Entschlossenheit und Unnachgiebigkeit ihres politischen Kampfes scheint jedem und jeder beindruckend beständig und vertrauenswürdig. Erst in diesem Jahr wurde sie drei Stunden lang von der israelischen Polizei verhört, weil sie an einem humanitären Konvoi teilgenommen hatte, der von der türkischen Grenze nach Syrien ging. Es ist typisch für Rim, daß sie, als die Israelis ihr sagten, jeglicher Besuch in Syrien würde Sanktionen oder Strafen nach sich ziehen, zur Antwort gab, daß die einzige, die entscheidet, ob sie nach Syrien reist, sie selbst ist, und niemand sonst.

Ihre Sorge um und ihre Arbeit für das palästinensische Kulturerbe

Rim Banna hat sowohl das Wissen als auch das Herz, das man braucht, um sich um das palästinensische Kulturerbe kümmern zu können. Sie hat mir schon mehrmals von Ideen und Plänen in dieser Hinsicht erzählt. Erst vor ein paar Monaten sind wir beide in die kleine Stadt Ikrit nahe der libanesischen Grenze gereist und nahmen dort alte Stimmen aus zerstörten Dörfern auf, Stimmen, die die alte Tradition des Geschichtenerzählens durch Musik weitertragen. Sowohl die alte Tradition selbst als auch die traurigen Geschichten darüber, von alten Besitztümern vertrieben zu werden, müssen unvergessen bleiben.

Ihre Arbeit für Kinder

Wie ich schon sagte, fand mein erstes Treffen mit Rim statt, weil sie bekannt war für ihre Arbeiten für Kinder. Sieben Jahre später brachten wir ihre Kinderlieder auf einer neuen CD heraus, die das World Council of Churches in großer Zahl kaufte, um sie in Flüchtlingslager zu bringen, so daß die Kinder weiter palästinensische Lieder lernen können, die, aller Besatzung und allen Konflikten zum Trotz, von etwas handelten, was wir ‚palästinensische Normalität‘ nennen würden. Kinder auf der ganzen Welt brauchen es, über Spiele, Tiere, Puppen, die Gerüche und die Stimmungen eines Hinterhofs unter einem Olivenbaum zu singen, und mit Wörtern zu spielen. Die Kinderlieder, die Rim schrieb und herausbrachte, sind überhaupt nicht politisch, aber sie zu singen ist dennoch ein politischer Akt, der die Stärke und die Würde des palästinensischen Volkes zeigt.

Qualität, Revolution, Verrücktheit und alternatives Denken

Rim hat ein starkes Gespür für Qualität bei allem, was sie tut. Und eine der Qualitäten die sie am meisten schätzt, ist die wirkliche Kommunikation zwischen der Künstlerin und ihrem Publikum. Sie ist stets um das Wohlergehen ihrer Zuhörerinnen und Zuhörer besorgt und will, daß jedes Konzert ein glücklicher und weihevoller Moment für diese ist.

Rim hat einen wahrhaft revolutionären Charakter. Sie ist geduldig in ihrer Entschlossenheit, aber ungeduldig in ihren Forderungen nach Änderungen, die den Leuten mehr Freiheit und Menschenrechte bringen. Und sie ist verrückt genug, die Chance, etwas Neues in ihrer Kunst auszuprobieren, nie unversucht vorbeigehen zu lassen. Als ich sie bei einer Gelegenheit vor zwei Jahren traf, sagte sie zu mir ‚Erik, ich möchte mal etwas ganz anderes machen, etwas Verrücktes‘. Das Resultat war ihr neues Album, von dem wir einen Titel gehört haben, ‚A Revelation of Ecstasy and Rebellion‘. Hier hat sie eine neue musikalische Annäherung an den wahrhaft revolutionären Geist gefunden, der sich irgendwie in der klassischen arabischen Dichtung verbirgt.

Rim ist eine Frau von alternativen Gedanken. Sie kauft nie stereotypisierte Konzepte. Sie glaubt an die Weisheiten hinter den offiziell akzeptierten, sogar in ihrer Küche. Sie kocht die wunderbarsten vegetarischen Gerichte und es ist immer eine große Freude, an ihrem Tisch zu sitzen und ihre köstlichen Speisen zu essen, die für mich so anders sind.

Ihr Kampf gegen ihre Krankheit

Rim hat noch einen anderen Kampf als den politischen zu führen. Sie ist immer offen mit ihrem Krebs umgegangen, der ihren Körper vor drei Jahren angriff. Die Stärke, die Rim in diesen Jahren der Schmerzen bewies, ist wirklich bemerkenswert. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit gelang es ihr, dem Feind, der sie angegriffen hatte, zu trotzen. Ich vergesse nie, wie sie sich selbst motivierte, indem sie ihre Krankheit als Metapher für die Besatzung ansah, und wie sie die ganze Situation in ihrem Kampf für Freiheit durch ihre Kunst und ihre solidarischen Akte nur noch entschlossener machte. Nicht ein einziges Mal hat sie sich von ihrer Krankheit davon abhalten lassen, Konzerte zu geben und zu den Brennpunkten der arabischen Revolution zu reisen. Im Oktober 2011 begann sie sogar mitten in der Chemotherapie einen Hungerstreik, um ihre Unterstützung für die Gefangenen in israelischen Gefängnissen auszudrücken. Viele von uns um Rim machten sich Sorgen um ihre Gesundheit, aber erst die Mütter der Gefangenen konnten sie schließlich davon überzeugen, den Hungerstreik abzubrechen.

Rim, ich möchte Dir gratulieren zu dem Preis, den Du heute bekommst. Ich weiß, daß er Dich für weitere Schritte inspirieren wird, weitere Schritte auf Deinem Weg als Freiheitskämpferin mittels Deiner Musik und aller Deiner künstlerischen Aktivitäten.

Erik Hillestad

Erik Hillestad

Erik Hillestad wurde am 12.12.1951 in Oslo geboren. Der Musikproduzent ist Leiter der Kirkelig Kulturverksted (KKV Records) und Initiator vieler Musik- und Kulturprojekte und -prozesse sowie Autor einer Reihe von bekannten Liedtexten. Hillestad hat mehrere Auszeichnungen für seine Arbeit erhalten. Er war der erste Musikproduzent in Norwegen, der den norwegischen Grammy Award (1982) erhalten hat. Im Jahr 2000 wurde eine neue KKV-Konzerthalle in Oslo errichtet: Kulturkirken Jakob („The Culture Church St. Jakob“), die erste Kirche in Norwegen, die eine fest etablierte Bühne für künstlerische Experimente der darstellenden und bildenden Künste werden sollte. Hillestad hat sich in den letzten Jahren in seiner Arbeit als Musikproduzent darauf konzentriert, die von ihm veröffentlichte Musik für Frieden, Dialog und Menschenrechte einzusetzen. Deutlich wird dies z. B. in seinen Projekten “Make me a channel of your peace – Mach mich zu einem Werkzeug Deines Friedens” (2001), “Lullabies from the Axis of Evil – Wiegenlieder von der Achse des Bösen” (2004), “Songs across Walls of Separation – Lieder, die durch Trennmauern gehen” (2008) and “A time to cry – Zeit zum Weinen – Ein Klagelied über Jerusalem” (2010). Er hat im Laufe der letzten zehn Jahre eine Reihe von Platten/CDs mit Künstlern aus dem Nahen Osten produziert, unter anderem mit Mahsa Vahdat aus dem Iran und Rim Banna aus Palästina. Für sein Werk erhielt Hillestad den norwegischen Free Word award of honor.

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