Rede des Preisträgers Mahmoud Amin El Alem Berlin, Literaturhaus 8.12.2001

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Lieber Nabil Bushnaq, Vorsitzender des Ibn-Rushd Funds,
Liebe Kolleginnen und Kollegen,
Sehr geehrtes Publikum !

Erlauben Sie mir zu Beginn, die Organisation Ibn-Rushd Fund für freies Denken zu begrüßen. Ihre Begründer und Träger beglückwünsche ich zu ihrer Wahl des Namens  „Ibn-Rushd für Freies Denken“  als Definition ihrer Botschaft. Ich erkenne, dass diese Wahl nicht nur die Namenswahl eines arabischen Denkers ist. Vielmehr ist es auch die Wahl eines geschichtlichen Zeitraumes der Zivilisation, der durch ein vertieftes und fruchtbares Aufeinanderwirken der höchsten  Werte seit dem kreativen Denken der altgriechischen Kultur inspiriert wird. Ibn Rushd (Averroes) erläutert dieses kreative Denken, diskutiert und ergänzt es. Diese Leistung erbringt einer der bekanntesten Vertreter des rationalen Denkens in der arabisch-islamischen  Zivilisation und liefert damit einen effizienten Beitrag zum Ausreifen der ersten Denkansätze aufgehender europäischer Zivilisation im 12. und 13. Jh. christlicher Zeitrechnung und danach.

Ich nehme auch wahr, dass die Wahl des Namens  und der geschichtlich kurzen Periode nicht auf das nachträgliche Herbeiholen der Vergangenheit und ihre Bekanntmachung abzielt, sondern auf einen wohlüberlegten und verantwortungsvollen Versuch, Lehren zu ziehen für die Schicksalsschlacht, der sich die Menschheit in heftiger und komplizierter Weise in der Gegenwart ausgesetzt sieht.

Erlauben Sie mir, an den Ibn-Rushd Fund meine tiefe Dankbarkeit und Hochachtung  zum Ausdruck zu bringen für die Ehrung  meiner Person durch die Verleihung des diesjährigen Preises. Ich hoffe, dass ich mich als würdig erweise, in dem ich, der Bedeutung des Preises entsprechend, die Verantwortung übernehme auf den Gebieten des Denkens, der Moral und der Menschlichkeit für den Rest der Tage meines Lebens.

Vielleicht ist es geboten, ja verpflichtend, während ich durch den Preis geehrt werde, der nach Ibn Rushd benannt wird, dass ich meine Rede zu Ihnen über ihn selbst beginne; darüber, was er philosophisch für seine Zeit und aber auch für unsere Zeit bedeutet.
Erlauben Sie mir, mich auf zwei Begriffe zu beschränken, die den Kern seiner ganzen Philosophie – meiner Meinung nach – ausmachen. Diese sind die Vernunft und die Freiheit.

Ibn Rushd (Averroes) lebte im zwölften Jahrhundert christlicher Zeitrechnung von 1126 bis 1198 in Andalusien während der Herrschaftszeit zweier sich in den Denkansätzen   widersprechender arabisch-islamischer Berberdynastien, der „Al-Murabitin“ (Almoraviden) und „Al-Muahiddin“ (Almohaden). Die erste war gekennzeichnet durch religiöse und fanatische Starrheit. Die zweite war offen, („dem Lichte zugewandt“ ); dies aber nur relativ, da  die öffentliche Meinung in dieser Epoche durch das konservative fanatische Denken der „Murabitin“ geprägt war. Deshalb beauftragt der Philosoph Ibn Tufail, der Berater von Abou Yakoub Ibn Yousef, Staatschef der „Muahiddin“, Ibn Rushd, die Werke von Aristoteles zu erläutern, zu publizieren und zu verbreiten, um ein Gleichgewicht herzustellen  zwischen dem rationalen Denken von Aristoteles und dem konservativen, fanatischen Denken von „Al-Murabitin“.

Als Ibn Rushd diese Aufgabe übernahm, ging es ihm weniger um die bloße Herstellung des Gleichgewichts zwischen einem fanatisch-religiösen Denken und dem rationalen Denken des Aristoteles. Das heisst, es handelte sich für ihn nicht nur um eine Frage des Denkens, sondern im Wesentlichen auch um eine Frage der Politik. In Wirklichkeit ging es ihm nicht im gleichen Maße um die Einzelheiten Aristotelischer Philosophie  wie um ihre rationale methodische Vorgehensweise. Er wollte, dass diese Philosophie der Vernunft als ideologische Stütze für den Staat der Al-Muahiddin benutzt wird.

Dieses Staatsgebilde war jedoch nicht von langer Dauer. Denn die streng fanatischen, religiösen Männer und Gelehrten  siegten alsbald und erhielten ihre Macht zurück. Die Bücher von Ibn Rushd (Averroes) wurden verbrannt, und er selbst wurde verbannt. Einige Jahre vor seinem Tode wurde er rehabilitiert. Seine auf dem Verstand beruhende Philosophie, die ihren Platz in Andalusien und Al-Maghreb (dem heutigen Marokko, Algerien und Tunesien) hatte, konnte sich  aufgrund des damals eingetretenen Stillstands in der Arabisch- Islamischen Zivilisation nicht durchsetzen, dennoch begann sie die neu beginnende Zivilisation in Europa zu befruchten.

Die Vernunft bei Ibn Rushd ist ein Teil des Selbst (bzw. der Person), auch wenn er sich von ihr abhebt. Die Vernunft ist eine Kraft, die allen Menschen gemeinsam ist, wenn auch auf verschiedenem Niveau. Diese Kraft verteilt sich auf zwei Aufgaben; die erste ist eine praktische,  und die zweite ist eine theoretische. Die praktische ist das Prinzip, das die Bewegung des Menschen bewirkt, zur Erledigung der Aufgaben, der Arbeiten und des Gewerbes. Die theoretische Aufgabe ist diejenige, die der absolute Intellekt – das sinnlich nicht Wahrnehmbare –  begreift.
Kern des Begriffs „Vernunft“ bei Ibn Rushd ist die problematische Beziehung zwischen dem absoluten Intellekt und dem sinnlich wahrnehmbaren Speziellen der Gegenstände, aus denen sich der Verstand seine intellektuellen Fähigkeiten herauszieht. Es stellt sich daraus eine Frage: „Müßte nicht eigentlich der absolute Intellekt, der aus dem gegenständlichen Speziellen abgeleitet wird, diesem widersprechen? Also im Grunde gar nicht in ihm existieren? Wenn es so ist, wie wahr ist er dann noch? Wie weit deckt er sich mit dem sinnlich Wahrnehmbaren? Oder ist der absolute Intellekt diesen gegenständlichen Teilen immanent?  Wenn dies korrekt ist, würde das bedeuten, dass er zur Natur dieser sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände gehört und damit seinen rationalen Absolutismus verliert? Würde es bedeuten, dass er nicht in der Lage ist, die Charaktereigenschaften dieser Gegenstände selbst zu haben?        

Natürlich gibt es diejenigen, die die Existenz dieses absoluten Intellekts in den gegenständlichen Dingen verneinen und sagen, dass er nur im Gehirn existiere, also transzendent ist. Leugnet man den Intellekt aber in den sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen, so müsse folgen, dass der absolute Intellekt eine Lüge ist und nichts widerspiegelt, was tatsächlich passiert, wie auch Ibn Rushd sagt. Ibn Rushd löst das Problem, indem er das „Transzendente“ und das „Immanente“  zusammenfügt. Die Macht des Verstandes – wie er sagt – ist nicht körperlich, obwohl sie der Seele und damit dem Leib innewohnt. Dies gilt auch für den absoluten Intellekt, der sich aus den Gegenständen ableitet: er ist nicht gegenständlich. Sie sind nach seinen Worten in den Gegenständen enthalten, aber in absoluter Form. Der Verstand ist es, der fähig ist, aus der Natur, die allen materiellen Gegenständen gemeinsam ist, etwas Abstraktes zu ziehen. Anders ausgedrückt, existiert das Allgemeine im Speziellen. Es ist erst dieses intellektuelle Potential und die Fähigkeit des abstrakten Denkens, die das Leben mit seiner ihm gegebenen Kraft zum Handeln bewegen – und zur Erkenntnis. Sinnlich wahrnehmbare Gegenstände sind insofern nur speziell, wenn man sie allgemein betrachtet, und sind allgemein/absolut, wenn man sie speziell betrachtet. Daher gleichen sich intellektuelles Wissen und äußere Gegenstände, diese gleichen aber nicht  sinnlich wahrnehmbaren Gegenständen, sondern  dem absoluten Intellekt, der wiederum den Charaktereigenschaften des Speziellen immanent ist.

Da der absolute Intellekt seine „Erfahrungen“ durch das Spezielle gewinnt und nur so absolut wird, dieses Spezielle sich aber fortwährend ändert und erneuert, so gibt es im Grunde keine fixe Form des absoluten Intellekts, sondern nur eine sich stets wandelnde. Würde es sie trotzdem geben, so hätten wir sie nur als Erinnerung gekannt und wahrgenommen. Wir hätten von den Prinzipien des Plato gesprochen, den „transzendenten“ Ideen. Wissen bei Plato ist die Erinnerung an Ideen, Ignoranz ist bei ihm das Vergessen der Ideen. In der Theorie des Ibn Rushd ist Wissen absolut, es ist aber den Gegenständen und dem Speziellen immanent, gleichzeitig ist es „transzendent“. Es verändert sich je nachdem, wie sich die sinnlich wahrnehmbaren Gegenstände und das Spezielle ändern.

Dies beweist, dass der absolute Intellekt auch außerhalb existiert, nicht nur innerhalb der Köpfe. Deshalb bezieht sich unser Wissen nicht nur auf die erfahrbaren Gegenstände, sondern auch auf ihre Identifikation. Nicht die Phänomene allein, sondern die Dinge selbst sind es, die sich unserer Kenntnis entziehen – so Kant.
Wie  gesagt, ist der absolute Intellekt bei Ibn Rushd in sich nicht widersprüchlich, er besteht in sich aus objektiven Dingen und Einzelheiten. Diese sinnlich wahrnehmbaren Dinge und Einzelheiten verkörpern jedoch bei Ibn Rushd nicht die abstrakte Gesamtheit – wie in der Hegelschen Philosophie. Der absolute Intellekt beginnt bei  Averroes deshalb nicht mit dem Geist oder Verstand, denn der Verstand ist nach Ibn Rushd ein unbeschriebenes Blatt. Auf diesem Blatt wird von ausserhalb der Intellekt abgebildet. Daher ist das intellektuelle Urteilsvermögen im Ursprung gegenständlich, da es durch das sinnlich erahrbare Spezielle konkret wird. Das Allgemeine findet sich im Konkreten, das Geistige im sinnlich wahrnehmbaren. Anders gesagt: Es ist die theoretische Realität, die aus den Gegenständen und sinnlich wahrnehmbaren Erscheinungen hergeleitet ist. Es ist der ontologische Aspekt des Begriffes „Einsatz des Verstandes“. Der erkenntnisbezogene Aspekt der Vernunft besteht darin, dass der Verstand selbst die intellektuelle Urteilskraft aus dem sinnlich Wahrnehmbaren ableitet. Deshalb ist der Verstand das Potential, das alle Menschen teilen. Dies erinnert uns an Descartes, der sagte: „Der Verstand ist das am gerechtesten Verteilte unter den Menschen“.

Diese Ausführungen über den absoluten Intellekt im ontologischen (existenziellen) und im epistemologischen (erkenntnistheoretischen) Sinne beruht bei Averroes auf dem Prinzip der Kausalität. Denn es gibt keinen absoluten Intellekt ohne kausale Zusammenhänge. „Wer die Kausalität wertschätzt“, sagt Averroes, „der schätzt den Verstand,“ und wertet somit auch die Wissenschaft sehr hoch. Deshalb widmet Averroes in seinem Buch „Tahafut Al-Tahafut“ (Destruktion der Destruktion oder Zusammenbruch des Unsinns) ein Kapitel einer Antwort auf Al-Ghazzali und  Al-Ashari, die seiner Meinung nach das Prinzip der Kausalität unbeachtet ließen.

Die Kausalität bei Averroes beschränkt sich nicht nur auf die notwendigen Beziehungen zwischen den äußeren Objekten, sie bestimmt zugleich auch das Verhältnis interner …. und die Basis für Vernunft und Freiheit. Sie ist eine doppelte Kausalität. Es gibt somit eine Kausalität, die durch eine äußere Ursache eine äußere Wirkung hervorbringt, und es gibt eine andere Kausalität, die durch Ursache und Wirkung die Aussenwelt beherrscht,  und es gibt eine Kausalität, die das Innere des Menschen – unser Tun, unseren Willen und unsere Wünsche – bestimmt.
Unser Handeln und unser Wille lassen sich nicht ohne Berücksichtigung der äusseren kausalen Zusammenhänge verwirklichen. Es muss ein gegenseitiges Zusammenwirken zwischen dem individuellen menschlichen Willen und den äußeren realen Umständen geben. Aus dieser gegenseitigen Verbindung zwischen dem Subjektiven und dem Objektiven wird die menschliche Freiheit geboren. Daraus entsteht auch ihr gleichzeitig subjektiver und objektiver Charakter. Aus dieser Averroeschen Sicht der Beziehung zwischen der Zwangläufigkeit und dem freien Willen erkennen wir den argumentativen Charakter, den wir später bei Spinoza und danach auch bei Hegel und Marx  wiederfinden. Somit ist die objektive Freiheit die Krönung der Philosophie des Averroes, eine Philosophie, mit der er  politische Macht begründen wollte, die auf  Wissenschaft, Toleranz und Aufklärung basiert. Er wollte damit ein Gegengewicht schaffen zu konservativen, fanatischen und starren Autoritäten seiner Zeit. Auf diese Weise gelang es ihm, im mittelalterlichen Dunkel eine Leuchtkraft für Europa zu entwickeln, die zu einem neuen Aufbruch in der Menschheitsgeschichte beigetragen hat.

Die Averroesche Philosophie war zu ihrer Entstehungszeit nicht nur eine Arabisch-Islamische Philosophie, sondern auch – wie sie in der Philosophiegeschichte genannt wird – eine jüdisch-averroesche Philosophie, die auf verschiedenen Ebenen und in verschiedenen Zeiträumen insbesondere durch Issa ibn Maimun (Maimonides) und Ishaq Al-Ballag vertreten wurde. Ebenso entwickelte sich eine christlich-Averroesche Philosophie, die vor allem durch Albertus Magnus, Thomas von Aquin, Roger Bacon und Sieger de Brabant vertreten war und der es gelungen ist, eine Versöhnung zwischen der Rationalität und dem religiösen Glauben  herzustellen. Ebenso entstanden rein philosophische Lehren, die ausschließlich auf dem Verstand beruhten, ohne dass sie der Religion dabei unbedingt widersprachen. So wie Averroes durch die konservativen, fanatischen islamischen Machthaber unterdrückt wurde, sind auch die Juden und Christen, die von ihm beeinflusst waren, durch jüdische und christliche Instanzen unterdrückt worden: sie wurden verfolgt und ermordet.

Bemerkenswert ist, dass Maimonides erst dann nach Ägypten auswanderte, als Averroes verbannt und seine Bücher verbrannt wurden. In Ägypten wurde Maimonides das geistige Amt des Ober-Rabbiners übertragen.
Es ist bekannt, dass alle Bücher von Averroes ins Hebräische übersetzt wurden, einige arabische Passagen sollen sogar in hebräischen Buchstaben geschrieben worden sein.
Das 16. Jahrhundert markiert einen grundlegenden Wandel im Einfluss des Denkens von Averroes auf Europa. Die Kirche erkannte Averroes als den „grössten Interpreten“ seit Aristoteles. Die Entstehung und Entwicklung einer kapitalistisch orientierten Produktion sorgte auf politischer, wirtschaftlicher und kultureller Ebene dafür, dass in jenem Jahrhundert die Vernunft eine Vormachtstellung erhielt; eine Vernunft, die ein neues Zeitalter einleitete, das Zeitalter der Erkenntnis, der Wissenschaft, der Freiheit und Offenheit des Menschen nach dem dunklen Zeitalter des Feudalismus.

Verschiedene Tore öffneten sich mit Hilfe der Vernunft. Descartes eröffnete ein Tor mit seinem Grundsatz: cogito ergo sum (Ich denke, also bin ich). Francis Bacon erschloss für uns die  experimentelle Vernunft. Kant öffnete die Tür der Aufklärung und Moderne und die Tür der Kritik am theoretischen, praktischen, ethischen und epistemologischen (erkenntnistheoretisch) Denken, auch durch seinen Aufruf zum Weltfrieden. Hegel betrachtete die Realität und die Geschichte als Verkörperung der universalen vollkommenen Seele und stellte die Basis für den idealen Diskurs über die Vernunft her. Marx ging über den materialistischen Diskurs beharrlich den Weg des Klassenkampfes  – ein Kampf zwischen der vorherrschenden kontrollierenden kapitalistischen Schicht und der aufstrebenden Arbeiterschicht – und er prophezeite, dass ein neues Zeitalter kommen wird, in dem Ausbeutung abgeschafft  und es einen Wandel geben wird von einer Welt der Grundbedürfnisse zu einer Welt der Freiheit. Sigmund Freud drang in die Tiefen des menschlichen Unterbewusstseins und des Traumes ein und legte die tiefverwurzelten Merkmale des Denkverhaltens bloß. Nietzsche erklärte Gott für tot und kündigte das Kommen des Übermenschen an, ausgerüstet mit dem „Willen zur Macht“ und dem Willen zur Superiorität. Antonio Gramsci vertiefte die marxistische Theorie noch einmal durch die Kriterien der Demokratie und Menschlichkeit. Die Frankfurter Schule kritisierte den funktionalen Verlauf der Vernunft. Einer ihrer größten Vertreter, Jürgen Habermas, stellte die Theorie des kommunikativen Handelns auf, in der er die Moderne als einen noch nicht beendeten Prozeß erklärte.  

Die wissenschaftliche und technische Entwicklung gibt uns Einblick in den Atomkern, nimmt uns mit auf eine Reise zum Mond und verringert räumliche und zeitliche Distanzen. Anstatt aber die Kluft zwischen den sozialen Schichten einerseits und den Nationen andererseits zu verringern, speziell in den neu sich entwickelnden Ländern der dritten Welt, vergrößert sich der Abstand. Die Widersprüche explodieren und verschärfen sich, es entstehen Konflikte, die von einseitiger Interessenpolitik sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene gesteuert werden.

Auf diese Weise ist der Erste Weltkrieg unter den kapitalistischen Ländern ausgebrochen. Die Welt war danach in zwei Lager geteilt, das kommunistische und das kapitalistische Lager, die jedoch bald wieder im Zweiten Weltkrieg eine Allianz bildeten gegen das faschistische Naziregime. Zum ersten Mal wurde Atomkraft als Waffe neben konventionellen und modernen Waffen eingesetzt, was die Vernichtung von Millionen von Menschen in wenigen Minuten zu Folge hatte.

Nach dem Zweiten Weltkrieg beginnt ein dritter Weltkrieg: der kalte Krieg zwischen dem sozialistischen und dem kapitalistischen Lager, der mit dem Scheitern des sozialistischen Entwicklungsprogramms der Kommunisten endet. Es erfolgt eine internationale Rangordnung mit der Vormachtstellung des internationalen Kapitals und den USA an der Spitze. Diese Hegemonie ist es, was heute als Globalisierung bezeichnet wird.

In diesen Tagen, insbesondere nach dem 11. September, erklären die USA – an der Spitze der kapitalistischen Staaten und einiger Drittweltländer in ihrem Schlepptau – einen vierten Weltkrieg gegen den internationalen Terror. Dieser internationale Terror wird ihrer Meinung nach durch eine islamistische Terrororganisation namens al-Qa’ida verkörpert, an deren Spitze ein Mann Saudischer Abstammung namens Bin Ladin steht, der sich in den Berghöhlen und Kellern Afghanistans versteckt hält und von der reaktionären islamischen Herrschaft der Taliban in Schutz genommen wird. In diesem neuen Weltkrieg setzt Amerika die technisch höchst entwickelten Waffen ein, setzt psychologische, ideologische und religiöse Mittel ein, alles, um diesen nebulösen verwirrenden undefinierten Terror zu vernichten. Die Vereinigten Staaten nehmen in Kauf, dass dabei zivile Einrichtungen und Häuser zerstört werden, dass Zivilisten umkommen und die Infrastruktur des Landes völlig zerstört wird. Hinter dem „unantastbaren“ Weltkrieg gegen den Terror werden die Umrisse eines Plans langsam sichtbar, durch den die Vormachtstellung der USA diktiert und gefestigt wird  – in einer Region der Welt, die in einer strategisch wichtigen Lage ist und deren Ölvorkommen enorm groß sind.

Hier sehen wir, wie sich die Averroesche Vernunft im allgemeinen Sinne historisch veränderte: wie sie anfangs Blüten trägt für die Freiheit des Menschen und für den Menschen, der sich seit dem Mittelalter bis heute durch die Schätze von positiven und negativen, sowie von  theoretischen und praktischen Erfahrungen bereichert hat. Langsam verwandelt  sich die Vernunft durch die Vormachtstellung des Kapitalismus und seine Entwicklung von einem aufklärerischen freiheitsstrebenden Denken und einer auf Veränderung zugunsten von Fortschritt, Prosperität und Offenheit  gerichteten Vernunft  in einen rein örtlich handelnden, unterdrückend technischen und materialistisch machtorientierten Verstand. Der Wandel dient allein der Maximierung kapitalistischer Eigeninteressen und zwar in unverhältnismäßig hohem Maße auf Kosten menschlichen Wohls im Allgemeinen, insbesondere in der jetzigen Phase der Globalisierung.          

Es verwundert nicht, dass es dagegen eine Reaktion gibt, die der Vernunft feindlich gesinnt ist. Schon in den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts war die Kritik an der Vernunft Mode geworden. Die Kritik an der Vernunft verbarg sich hinter der Kritik an der Metaphysik, der Kritik an autoritären Systemen, Kritik an  geschlossenen geordneten Formen, verbarg sich hinter der Kritik am Absolutismus und an Ideologien jeglicher Art.  Irrationalität wurde von verschiedenen Bewegungen propagiert. Sie wurde nicht als irrationales Denken verstanden, sondern als etwas, das gegen die Vernunft selbst offen agierte, sei es durch extrem religiöse oder nationalistische Gruppierungen oder durch ideologische Bewegungen, die irrational dachten, entweder dadurch, dass sie egozentrisch, intuitiv, positivistisch, pragmatisch, eigennützig, instrumentalisierend oder rechtfertigend waren. Oder es handelte sich um Anhänger der Postmoderne, die alle Verallgemeinerungen und das Absolute und alle sozialen, ideologischen, ethischen Gedankenrichtungen ablehnten.

Meiner Meinung nach sind die Postmoderne und der  Postkonstruktivismus eine hinterlistige Ideologie dieser Stufe der destruktiven kapitalistischen Globalisierung. Auf diese Weise wird die Verteidigung der Vernunft in ihrer Bedeutung von Offenheit, Freiheit, Gerechtigkeit, Fortschritt und Humanität die Auseinandersetzung sein, die wir heute mit der kapitalistischen Globalisierung führen.

Es ist daher angebracht, diese kapitalistische Globalisierung näher zu betrachten, um sie zu verstehen und ihr positiv und vernünftig entgegen treten zu können.

Als im Jahr 1997 die Afro-Asian People’s Solidarity Organization (ECSAAP) eine Konferenz über das Thema: Clash of Civilization oder Dialog der Kulturen? veranstaltete, bemühte ich mich, einige Begriffe genauer zu definieren, unter anderem den Begriff Kultur und Zivilisation. Auch noch 1999 habe ich mich damit in meiner Einleitung zum Sammelband Qadaya fikriyya, der das Thema „Arabisches Denken zwischen Globalisierung, Moderne und Postmoderne“ zum Inhalt hatte, befaßt.

In meiner Einleitung erkläre ich, dass ich „Kultur“ aus allgemein anthropologischen Gesichtspunkten betrachte, sowohl theoretisch als auch praktisch. Es ist eine erkenntnistheoretische, psychische und wissenschaftliche Betrachtung der sozialen und wirtschaftlichen Realität des Menschen, die sich auf lokaler Ebene in ihren verschiedenen Formen offenbart: in Form der Macht, der Produktion, in politischen, ideologischen oder künstlerischen Verhaltensweisen. Somit unterscheidet sich die Bedeutung „Kultur“ von einer Gesellschaft zur anderen je nach sozialer, wirtschaftlicher und politischer Lage. Sie kann sogar innerhalb einer Gesellschaft unterschiedlich sein, je nachdem, wie unterschiedlich die Orte, die politischen, sozialen und ideellen Überzeugungen sind. Kultur kann sich auch mit der Entwicklung der verschiedenen nationalen Gruppen entwickeln und verändern.Dies geschieht unabhängig davon, ob wir es mit einer zivilisatorisch hochentwickelten oder weniger entwickelten Gesellschaft zu tun haben.

Jede Kultur, wie ich schon sagte, hat auf der einen Seite nationale Merkmale, die nur ihr eigen sind, und auf der anderen Seite allgemein menschliche Merkmale, die sie als Erbe aller menschlichen Erfahrungen mit anderen Kulturen teilt. Dieser gemeinsame Teil entspringt den körperlichen, sozialen und menschlichen Grundbedürfnissen und den gegenseitigen Einflüssen, die durch den ständigen sozialen Kontakt zwischen  Kulturen und Völkern zustande kommen – ohne dass durch diese Wechselwirkung der besondere Charakter der jeweiligen Kultur verloren ginge.

Was den Begriff „Zivilisation“ betrifft, so benutze ich ihn wie den Begriff „Kultur“ ohne grundlegende Bedeutungsunterscheidung. Sehen wir von dem überwiegend gleichbedeutenden Teil ab, so kann man doch einen kleinen aber wichtigen Unterschied entdecken: Zivilisation ist ein automatischer Prozeß, sie ist eine Kultur, die sich von selbst entwickelt und ihre eigenen lokalen Grenzen überschreitet und sich selbst verbreitet. Sie zwingt in bestimmten historischen Zeiten sich anderen Gesellschaften oder wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Gruppierungen auf. Hier vollzieht sich eine Entwicklung vom Privaten zum Allgemeinen, unabhängig davon, wie weit nach außen die Entwicklung geht. Zivilisation ist meiner Meinung nach die Erweiterung einer ursprünglich eigenen Kultur und Umwandlung zur vorherrschenden universalen Kultur sowie Verbreitung außerhalb der Grenzen ihres Ursprungsgebietes. Auf diese Weise waren die altägyptische, die chinesische, die persische, die griechische, die römische und die arabisch-islamische Zivilisation und andere vorherrschende Kulturen entstanden. Wichtig ist hinzuzufügen, dass bei dem Zusammenbruch einer Zivilisation wegen der Vorherrschaft einer anderen mächtigeren und entwickelteren Kultur die eigenen Merkmale der ursprünglichen Kultur – mehr oder weniger – in dieser neuen vorherrschenden Kultur lebendig bleiben. In einer Kultur finden wir im Grunde – die meisten historischen Erfahrungen belegen dies – mehrere Subkulturen, die früheren Kulturen entstammen. Innerhalb einer einzelnen Kultur kann es zu Unterschieden, Spannungen und Wechselwirkungen zwischen den einzelnen Subkulturen und der vorherrschenden Hauptkultur kommen. Zum Beispiel umschloss die arabisch-islamische Zivilisation im zweiten, dritten und vierten Jahrhundert der Higra (8./9./10. und 11. Jahrhundert) in ihrer Ausweitung nach Westen, Osten, Norden und Süden viele andere Kulturen wie die byzantinische, persische, indische und ägyptische, um nur wenige zu nennen. Vielleicht waren es damals sogar diese unterschiedlichen kulturellen, konfessionellen, ideellen, literarischen und sittlichen Verhaltensweisen, die zu der charakteristischen kulturellen und sozialen Vielfalt innerhalb der arabisch-islamischen Gesamtkultur führte. Diese kulturelle Vielfalt erklärt auch das Phänomen der „Shuubiyya“ und andere politische Bewegungen in der islamischen Geschichte, die immer wieder bis heute für Unruhen und Dissens sorgen.

Ich kam damals zu dem Ergebnis – und vertrete es immer noch -, dass es heute nur eine vorherrschende Kultur gibt und in ihr zahlreiche Subkulturen. Es ist die Kultur der kapitalistischen Produktionsweise, entstanden im Feudalsystem des 16. Jahrhunderts. Diese Kultur wurde stärker und verbreitete sich, suchte immer wieder neue kreative Wege der wirtschaftlichen und sozialen Beziehungen und führte zu nationalen Strukturen. Sie vollbrachte wissenschaftliche und technologische Errungenschaften und führte neue ideelle, kulturelle, ethische und ästhetische Werte ein. Sie breitete sich über die Grenzen Europas aus und benutzte dabei die verschiedensten Mittel der Einmischung wie Krieg sowie militärische, wirtschaftliche und kulturelle Vorherrschaft.

Diese kapitalistische Form der Kultur breitet sich bis heute auf der ganzen Welt aus, der Grad des Einflusses ist von Gesellschaft zu Gesellschaft unterschiedlich. Einige tragen dazu bei, dass diese Kultur sich noch mehr entwickelt und verbreitet und noch mächtiger wird als bisher. Andere spielen diese Rolle nur geringfügig und andere wiederum stehen in einem Abhängigkeitsverhältnis von dieser vorherrschenden Kultur als Mitläufer und Konsumenten.      

Die vorherrschende Kultur des Kapitalismus repräsentiert somit in ihren vielseitigen Abstufungen die Gesamtkultur unseres Zeitalters – nicht nur die europäische oder westliche Kultur, wie es oft gesehen wird. Sie ist europäisch und westlich nur insofern als sie in Europa und im Westen entstanden ist. Heute ist sie eine globalisierte kapitalistische Kultur. Durch die Betreibung der offenen grenzenlosen Marktwirtschaft verwandelte sich die ganze Welt in einen einzigen Markt, der nach den Gesetzen der kapitalistischen Länder betrieben wird, die unterschiedlich ausfallen, mal durch Abmachung vereint sind und harmonisieren, ein anderes Mal sich widersprechen. Produkte werden produziert und verkauft, Geschäfte werden getätigt. Kapitalistische Konzerne  richten internationale Banken ein, betreiben Organisationen für Sicherheit, Öffentlichkeitsarbeit, Kultur und Wissenschaft. Die Konzerne lenken Gedanken und Wertvorstellungen, machen Politik, entscheiden über Gesetze und rufen Regierungsausschüsse zusammen.

Die Konzerne führen Krieg oder schaffen kriegsähnliche Situationen , um den Radius Ihrer multi-nationalen Monopole zu erweitern und die Gewinne Ihrer vielen verschiedenen Firmen zu vergrößern. Sie ignorieren die nationale Identität, um Ihre Vormachtstellung und Kontrolle außerhalb Ihrer staatlichen Souveränität zu stärken.
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Und obwohl der Typus dieses globalisierten Kapitalismus einigermaßen einheitlich ist, ist diese Einheit nur äußerlich. Innerlich gibt es große Unterschiede zwischen den einzelnen Ländern, Völkern, zwischen einer Konzernstruktur und einzelnen Projekten. Länder und Projekte unterscheiden sich durch ihre verschiedenen Beziehungen in der Produktion, in der Wissenschaft, in der technischen Entwicklung, oder sie unterscheiden sich allgemein kulturell und historisch. Aufgrund dieser Unterschiede sind die charakteristischen Merkmale dieser kapitalistischen Globalisierung, dass nur wenige weitentwickelte Großmächte über den größeren Teil der Welt dominieren. Sie dominieren mit ihren Plänen, ihrer Politik und ihrem hoheitlichen Handeln – und werden angeführt von den USA. Wie oft aber wird nicht unterschieden zwischen der kapitalistischen Globalisierung als objektives historisches Phänomen und der Vormachtstellung als eigenständiges Phänomen. Letzteres dominiert über die sachliche Betrachtung und beeinflusst sie. 

Ich glaube, es gibt nur eine einzige Kultur, nämlich die des global-kapitalistischen Typus. Darin befinden sich Kulturen – u.a. auch Reste von ehemals vorherrschenden Zivilisationen – alle unterschiedlich in der Produktivität, der Bildung, welche wiederum verantwortlich sind für die Unterschiedlichkeit in der Globalisierung selbst. 

Ich brauche nicht zu sagen, dass die hier gemeinte Produktivität nicht nur wirtschaftliche Aspekte betrifft, sondern auch die Unterschiede in den politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Bereichen umfasst.

In Wirklichkeit ist diese Art des vorherrschenden globalen Kapitalismus Ergebnis eines langen historischen Prozesses, der bereits im 16. Jahrhundert beginnt und sich bis in die achtziger Jahre des 20. Jahrhunderts fortentwickelt. In den Achtziger Jahren erlebte dieser kapitalistische Typus eine mehr oder weniger qualitative Veränderung auf nationaler und internationaler Ebene. Während am Anfang Konkurrenz, die Verbreitung von Monopolen sowie die großformatige Kapitalisierung in Form von Kartellen und Syndikaten innerhalb eines Landes oder als multinationale Monopolgruppen charakteristisch waren, wird heute die ganze Welt von einem System, dem Kapitalismus, beherrscht und nur von wenigen multinationalen Großmonopolkapitalisten dominiert. Das Monopol hat heute seine  eigene Gesetzmäßigkeit und seine eigenen staatsunabhängigen Institutionen, die jedoch nicht ganz vom Staat getrennt sind.

Es gibt zahlreiche Studien, die das Phänomen des globalisierten Kapitalismus mit drei Dingen begründen. Erstens: den am Monopol orientierten Wettbewerbscharakter des Kapitalismus selbst. Zweitens: das Scheitern des sowjetischen Experiments einer sozialistischen Entwicklung und den Zerfall des Kommunismus’, der einen internationalen Gegenpol zum Kapitalismus darstellte.
Drittens die dritte Revolution der Wissenschaften, die nach dem zweiten Weltkrieg anbrach und bis heute enorme technologische Errungenschaften erzielt hat, insbesondere in den Bereichen der Kommunikation und der Datenverarbeitung, die fast alle zeitlichen und örtlichen Distanzen zwischen den Menschen überwindet. Dies führte zur Verdopplung der Produktivitätskraft und brachte neue Möglichkeiten und Entdeckungen in den Naturwissenschaften und auf anderen Gebieten.

Diese drei Faktoren führten nicht nur zur schnellen Ausdehnung und Strukturierung des neuen Weltkapitalismus, sondern auch zu der Form des Kapitalismus, wie wir ihn heute sehen, zu seiner Verwurzelung, und führte auch zur Realisierung seiner Herrschaft und Hegemonie auf internationaler Ebene in den wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Bereichen.

Nun, all dies ermöglicht uns, die momentane Weltlage wie folgt zu schildern:
Es gibt eine vorherrschende Form des produktions-orientierten Kapitalismus, der die Rahmenbedingungen für alle Bereiche des menschlichen Lebens – des wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen –  vorgibt.

Im Rahmen dieser kapitalistischen Form gibt es verschiedene nationale und kulturelle Formen, unterschiedlich im Niveau der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Produktivität. Aufgrund dieser Unterschiede findet ein Konflikt zwischen all diesen Einheiten statt, zwischen den großen und den kleinen, den weit entwickelten und den weniger entwickelten, gemäß dem Expansions- und Wettbewerbscharakter des Kapitalismus.

Ferner findet eine andere Art des Konflikts statt, zwischen den wenigen aber mächtigen Monopolkapitalisten selbst. Meiner Meinung nach ist dieser Konflikt jedoch trügerisch, er vermischt Gegensätze, verbindet Wettbewerb mit Solidarität, Rivalität mit Bündnis, was keinesfalls die allgemeine Übereinstimmung innerhalb des globalen Kapitalismus beeinträchtigt. Sie bilden im Grunde eine Harmonie, um ihre Vorherrschaft und Kontrolle zu garantieren, die eigenen Interessen zu wahren und gemeinsam gegen Konflikte und Diskrepanzen Widerstand zu leisten.

Trotz der Vorherrschaft der Vereinigten Staaten über die größten kapitalistischen Systeme und die globale Marktwirtschaft ist es jedoch wissenschaftlich inkorrekt, in diesem Zusammenhang Globalisierung als Amerikanisierung zu betrachten, wie zahlreiche Politikanalytiker es sehen, nur weil Amerika zur Zeit die Kontrolle über das Weltmonopol hat. Das hieße, dass man Globalisierung subjektiv und nicht objektiv sieht und die Geschichte der kapitalistischen Globalisierung völlig ignoriert.

Deshalb ist der jetzige Konflikt ein Konflikt der Interessen und der kapitalistischen Vormachtstellung, und nicht ein Konflikt der unterschiedlichen Zivilisationen im kulturellen Sinne, der in den meisten Fällen mit der Religion in Verbindung gebracht wird.
Dies ist aber die vorherrschende Meinung, mit der leider viele arabische und ausländische Publikationen und Artikel die andauernden Konflikte in unserer Zeit zu erklären versuchen. Sogar die aktuellen Phänomene und Ereignisse, wie die gefährlichen Explosionen im vergangenen September in New York und Washington, erklären sie in diesem Deutungsmuster. Mit einer rein religiös-kulturellen Auslegung wollen sie doch nur von den tatsächlichen Ursachen, die zu diesen Konflikten geführt haben, ablenken.

Die Erklärung dieser Ereignisse mit dem Begriff der „Kampf der Kulturen“ ist sehr alt, auch wenn sie in neuester Zeit mit Leitsätzen von Samuel Huntington zwischen den Jahren 1993 – 1996 in Verbindung gebracht werden. Man findet diesen Begriff aber auch in den Schriften von Fukujama „Über das Ende der Geschichte“.

Der Kern der Doktorarbeit von Fukujama basiert auf der standhaften menschlichen Natur und deren Vollendung im heutigen Zeitalter des Liberalismus und des kapitalistischen Marktes. Er übernimmt Hegels Vorstellungen vom Ende der Geschichte, oder besser gesagt, er kopiert aus seinem Werk, solange es in die heutige Zeit passt. Auch Hegels Theorie von dem „Absoluten“  führt er an, um sie am Beispiel des preußischen Staats (als absoluten Staat) zu exemplifizieren.

Die menschliche Geschichte sieht Fukujama als eine unerschütterliche Entwicklung, nur wenige fehlerhafte oder fehlgeleitete soziale, wirtschaftliche, politische und kulturelle Nebenerscheinungen sind zu finden. Die Menschheit steuerte in ihrer Entwicklung direkt auf den Liberalismus und den Kapitalismus zu.

Darum, meint Fukujama, sind alle früheren Etappen und Geschichtssysteme, insbesondere auch die des sowjetischen Sozialismus, gerade wegen ihres Widerspruchs zur ursprünglichen menschlichen Natur, fehlgeschlagen. Damit, meint er, dass der Liberalismus und der kapitalistische Markt die einzigen praktischen Parallelen und die objektive und geschichtliche Verkörperung der menschlichen Natur sind. Das Ende der Geschichte bedeutet bei Fukujama nicht, dass es kein Menschenleben mehr gibt. Vielmehr bedeutet es die Bejahung, Stabilität und Festigung des menschlichen Lebens und Verkörperung durch das liberale System und den kapitalistischen Markt.

Dies ist – kurzgefasst – Fukujamas Arbeit über das Ende der Geschichte und des letzten Menschen, die er 1993 veröffentlicht hat.

Er hat noch eine andere Studie mit dem Titel „Eine Revision“ verfasst: „Der letzte Mensch in der Flasche“: In dieser Studie sieht er, dass die neue Biotechnologie in der Lage ist, die menschliche Natur zu verändern und neue künstliche Menschen zu erzeugen.
Der Liberalismus und der kapitalistische Markt bleiben als allgemein gültige Ordnung in der jetzigen und in der post-humanen Geschichte – wie ein Makler, der Anzeigen verkauft, nur Anzeigen ideologischer Natur, die die Ware der Weltmacht  Amerika anpreisen.

Die Theorie vom „Kulturkampf“ (Clash of Civilization) von Huntington kann beinahe als Bestätigung und Erweiterung der Theorie Fukujamas über das Ende der Geschichte betrachtet werden, trotz deutlichen Unterschieds zwischen ihm und Fukujama. Fukujama rechnet mit dem Ende der Geschichte, Huntington glaubt an die Erneuerung, den Fortbestand der Geschichte. Eins jedoch haben die beiden Theorien gemeinsam, nämlich, beide bestätigen, dass das liberale kapitalistische System der einzige Repräsentant bzw. Vertreter der menschlichen Zivilisation gegen den „Rest“ der Systeme ist.

Die Theorie von Huntington über den Kulturkampf macht keinen Unterschied zwischen Kultur und Zivilisation, obwohl sie beide dieselbe Kernaussage haben, jedoch in der Theorie von Huntington überwiegt das religiöse Element. Huntingtons Theorie wird als Ersatz für den kalten Krieg betrachtet, besonders nachdem er zu Ende ging und damit  Konflikt und Konfrontation immer bestehen bleiben.

Der „Kalte Krieg“ bestand zwischen zwei gegensätzlichen Systemen, zwischen dem sozialistischen und dem kapitalistische System, d.h. ein Streit über zwei unterschiedliche philosophische Anschauungen. Nun, wo der Konflikt zu Gunsten der liberalistischen, kapitalistischen Anschauung, deren Repräsentant die USA ist, entschieden ist, besteht ein Konflikt in der Welt trotzdem fort durch die Vorherrschaft des kapitalistischen Systems.

Daher bezweckte Huntingen´s-Theorie, dem neuen Konflikt eine neue, andere ideologische Dimension zu geben, anders als die politische und Klassendimension, die während des „Kalten Krieges“ ihr Gültigkeit hatte.
Huntingen meint, die Hauptstreitgründe wären die Geschichte, die Sprache und die Religion gewesen, aber die Religion wäre der wichtigste Streitgrund, um dem kommenden Konflikt der Kulturen eine religiöse Prägung zu geben. Dies ist nach dem vergangenen September besonders deutlich geworden.

Meines Erachtens gibt es in unserer Zeit keine unterschiedlichen zerstrittenen Zivilisationen, wo der Streit unter ihnen auf kultureller oder religiöser Grundlage ruht, wie Huntington behauptet. Es gibt keinen Konflikt zwischen dem westlichen Christentum und dem Islam und dem Konfuzianismus in China. Auch gibt es keinen kulturell-religiösen Konflikt zwischen Amerika und Japan, obwohl es große nationale, kulturelle und traditionelle Besonderheiten gibt. Oder zwischen Iran und Irak, oder Libyen und dem Rest der arabischen und islamischen Staaten. Auch wenn der Konflikt eine religiöse Prägung bekommt, schafft Amerika es, diesen Konflikt so aufzublähen, um den Hass der islamischen Strömung gegenüber Amerika so riesig darzustellen, um neue Scheinfeinde zu schaffen. Damit täuscht Amerika über den wahren Konflikt hinweg, denn nach dem Zerfall des sozialistischen Feindbildes braucht Amerika dringend ein neues Feindbild.

Die meist fanatischen islamistischen Verbündeten der USA im Afghanistan von gestern sind heute bestgehassten Feinde.

In derselben Zeit, in der Amerika sich als Beschützer und Rechte-Bewahrer der ägyptischen Kopten erklärt, die unter ihren muslimischen Landsleuten leiden,  unterstützt es mit aller Macht die aggressive Besatzungspolitik des zionistischen israelischen Staats, der die internationale Gerichtsbarkeit missachtet und das palästinensische Volk, Moslems und Christen, aus seiner Heimat nicht nur vertreibt, sondern auch die schlimmsten Massaker anrichtet, Folterung, Repression, Hunger, Abschiebung und Vernichtung verursacht.

Das ist nicht alles. Die USA nutzen auch unter Vorspiegelung falscher Tatsachen die NATO-Streitkräfte aus, um angeblich die Moslems vor den Serben im Kosovo zu schützen. In Wirklichkeit aber wollte es die politischen und militärischen Kräfte auf dem Balkan und in Europa zu seinen Gunsten verändern.

Ferner beabsichtigt Amerika, die NATO von einer Militärmacht mit begrenzten Einsatzbereichen in Europa zu einer Ersatz-Militärmacht, die die UNO und den Sicherheitsrat ablöst, umzuwandeln, um mit denselben Befugnissen und der Legitimität weltweit zu agieren.

Nun sehen wir, wie die USA heute die Atlantische Allianz für ihre Aggression gegen das afghanische Volk benutzt, worauf später auch andere aggressive Handlungen gegen einige arabische und nichtarabische Länder im Nahen Osten, unter dem „Kampf gegen den Terror“, folgen werden. All das erfolgt ohne international-legitime Stützung, in Wahrheit betreibt Amerika internationalen Terror unter dem Deckmantel der Terrorbekämpfung, jedoch nur um seine Vormachtstellung voranzutreiben und seine Interessen zu wahren und zu erweitern.

Der zur Zeit herrschende Konflikt ist keineswegs ein Zivilisationskonflikt, vielmehr ist er ein Konflikt der wirtschaftlichen, expansionistischen und hegemonialen Interessen innerhalb einer einheitlichen kapitalistischen Zivilisation.  Er ist in erster Linie ein Interessenkonflikt zwischen den großen kapitalistischen Ländern selbst, um mehr Gewinn und Einflusssphären zu erreichen, und um ihre zunehmenden wirtschaftlichen, sozialen und Werte-Krisen zu bewältigen.

Manchmal erscheint eine kulturelle Seite für den Konflikt, wie die „kulturellen Ausnahmen“, die Kanada und Frankreich im „GAT-Abkommen“ aufgezwungen haben: Es ist auch ein Konflikt zwischen den Großmächten und den Entwicklungsländern, wobei dieser Konflikt viele Formen annehmen kann, wie z.B. militärische Einmischung und Aufzwingung von politischen, wirtschaftlichen, kulturellen und nationalen Bedingungen, um Macht und Involvierung zu sichern sowie die Löschung von nationalen und kulturellen Besonderheiten und die Behinderung der Selbstentwicklung dieser Länder, die als Basen der amerikanischen Hegemonie in der Welt dienen sollen. Um dies zu erreichen, wendeten die USA die unterschiedlichsten politischen und wirtschaftlichen Mitteln an, sowie die Medien, Komplotte und nicht zuletzt militärische Aggressionen.

Wahrlich groß sind die Beispiele für das Verhalten der Großmächte, an der Spitze die USA. Ich denke, was heute unter dem Namen des 4. Weltkrieges gegen den internationalen Terror läuft, ist ein klares Beispiel für die aggressive, hegemoniale Politik, die die kapitalistische euro-amerikanische Allianz betreibt. Es ist kein Kreuzzug gegen den islamischen Terror, vielmehr ein ideologischer Deckmantel zur Irreführung, Schwindel und Ablenkung von der Wahrheit.
Allein das Wort “Kreuzzug“ war kein unbeabsichtigter Ausrutscher, auch der Angriff des italienischen Ministerpräsidenten gegen den Islam war ebenfalls weder achtlos noch irrtümlich, sondern eine vollbeabsichtigte Nahrung für den ideologischen Deckmantel, den sie nicht mit einer Entschuldigung wegwischen können.

Ich denke, dass die ganze Sache ein Teil eines großen umfangreichen Plans des internationalen Kapitalismus, insbesondere der USA ist, gerichtet gegen die internationale öffentliche Verurteilung der Politik der wirtschaftlichen und kommerziellen Globalisierung. Diese Globalisierung brachte und bringt immer noch eine Zunahme der Umweltrisiken, Wirtschaftskrisen und Klassenunterschiede in der Welt.

Die Durban-Konferenz fand am 29.8.2001 in Südafrika statt, um den allgemeinen Rassismus und insbesondere den zionistischen Rassismus zu verurteilen. Diese Konferenz, an der 3000 Nichtregierungsorganisationen und 150 Staaten teilgenommen haben, war ein Gipfel der internationalen demokratischen Mobilisierung, die nicht nur gegen die Globalisierungspolitik, sondern auch gegen die USA gerichtet war.

Zuvor erfolgten gegen diese Politik und gegen die Welthandelsorganisation zahlreiche Aktionen in Seattle, in Italien und England und an vielen anderen Orten der Welt.

Nun, mit dieser Konferenz bekam die ablehnende Welle gegen diese Politik tiefere Bedeutung und einen höheren Wert bei den Völkern.

Es ist schwer zu glauben, dass die kapitalistischen Geheimdienste all das nicht wussten. Es ist sinnlos darüber zu diskutieren, wer nun die Terrorangriffe gegen die Wahrzeichen der Wirtschaft, der Politik und des Militärs in New York und in Washington zu verantworten hat.
Bei solch einer Tat fragt man nicht nach dem WER, sondern nach dem WARUM und WESHALB diese Terrorakte verübt wurden, und wer hat eigentlich Nutzen davon?

An dieser Stelle muss ich Henry Kissinger während einer Sondersitzung des amerikanischen Abgeordnetenhauses am 28.1.1975 zitieren:
„Der Terror ist unsere Hauptwaffe, um unsere Interessen zu wahren, und das Töten ist in unserem Brauch erlaubt, auch der Terror ist erlaubt, die Komplotte sind legitim bei uns, wo ist also das Problem, wenn alles erlaubt ist?“

Nun wiederhole ich meine Frage: Wer hat wirklich Nutzen von dem, was geschah? Es ist möglich, dass die Gruppe von Ben Laden mehr oder weniger daran beteiligt gewesen war oder es selbst ausgeführt hat. Das widerspricht nicht, dass dies vielleicht auch mit der Ermutigung und Unterstützung der Geheimdienste im Hintergrund geschah.

Somit wird der Täter zum Opfer und das wirkliche Opfer nach außen hin der Täter und Verdächtige?

Laut Hegel: „Ist dies die Verschlagenheit der Geschichte oder die Verschlagenheit der heimlichen, interessenbezogenen Politik?“.

Vor der Weltkonferenz gegen Rassismus in Durban hat es viele Globalisierungsgegner gegeben und vor allem Gegner der internationalen Wirtschaftspolitik der USA. Die Vereinigten Staaten von Amerika waren der Hauptverdächtige für zahlreiche wirtschaftliche und militärische Verbrechen an vielen Völkern der Welt.

Nach dem Terroranschlag vom September aber hat sich die Situation völlig geändert: Amerika wurde vom Täter zum Opfer! Vom Opfer zum Anführer eines umfassenden internationalen Anti-Terror-Krieges – aber nicht, wie behauptet wird, um sich an einer Handvoll Terroristen zu rächen, sondern um seine militärische, politische und wirtschaftliche Vorherrschaft  weltweit zu sichern und zu stärken. Die Operation scheint beinahe eine genau geplante Umsetzung der Theorie Huntingtons vom Zusammenprall der Kulturen (Clash of Civilization) zu sein, die islamische Religion musste daher in dieser Operation eine wichtige Rolle spielen, sie ist die Hauptfigur und gleichzeitig das Opfer in diesem Drama!

Mit welchem Eifer wird hier vorgegangen, um Huntingtons Theorie vom Kulturkampf zu bestätigen, um die Kluft zwischen Religion und Säkularismus, zwischen Orient und Okzident, zwischen Islam und Christentum zu vertiefen!
Mit welcher Hast tut man dies auf die verschiedensten Weisen, um nicht zuletzt von der wirklichen Tragödie, ihrem Grund und Ausmaß abzulenken, und von denjenigen abzulenken, die von der Katastrophe profitieren.

Man verliert dadurch auch den scharfen Sinn, Dinge zu betrachten und zu hinterfragen und die Fähigkeit, gegen sie effektiv, sachlich und praktisch anzutreten.
Deshalb ist es von großer Wichtigkeit, den Dialog zwischen den Kulturen auf kultureller, sozialer, politischer und wissenschaftlicher Ebene aufrecht zu erhalten und zu fördern, und nicht die konfessionellen Konflikte aufzuheizen und eskalieren zu lassen oder rassistischen Haß unter den Völkern zu schüren. Stattdessen sollte man Menschen aufklären und eine Solidarität mit allen Menschen für die Verteidigung von Vernunft, Gerechtigkeit, Freiheit, Kreativität und Erneuerung fordern.

Die Kultur unseres heutigen Zeitalters ist eine gierige Ausbeutungskultur, die die Einheit der menschlichen Zivilisation – ein so reiches historisches Erbe – zu einem wilden Urwald verwandelt und nicht zu einem „global village“, wie man es beliebt zu nennen. Man muss sich dieser Entwicklung entgegenstellen, aber nicht, indem man sich von ihr abwendet oder sie verleugnet oder sich mit terroristischen Anschlägen an ihren Symptomen rächt. Meistens sind es Unschuldige, die dem Terror zum Opfer fallen, und meistens, so haben wir aus der Vergangenheit gelernt, erreichen Terroranschläge nichts Positives und keine grundlegenden Veränderungen, sondern das Gegenteil von dem, was damit erreicht werden soll.

Dem globalen Kapitalismus darf man aber auch nicht begegnen, indem man sich ihm ergibt und sich dem System passiv fügt,  sondern man muss sich mit ihm mithilfe der wahren kritischen Vernunft auseinandersetzen und sich mit Wissenschaft und Erfahrung und den technologischen Errungenschaften des modernen Zeitalters wappnen.

Indem man sich mit allen zur Verfügung stehenden Kräften solidarisch zusammentut, seien sie zivil, demokratisch, religiös tolerant,  sozialistisch, säkularistisch, modern … Die Hauptsache ist, dass man eine soziale Entwicklung erreicht, die Rechte des Einzelnen garantiert und die charakteristische Eigenart der Kulturen bewahrt, die Souveränität der Völker gewährleistet  und für Jeden Frieden, Freiheit und Gerechtigkeit schafft. Man sollte die gemeinsame menschliche und kulturelle Basis der Menschheit weiterentwickeln und fördern, um die derzeitige Globalisierung in eine neue Bahn zu lenken und sie zu DER Globalisierung zu machen, die sich all dieser positiven Werte verpflichtet.

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