Ibn Rushd Preisverleihung 2010 an das arabische Internetforum ‚al-Hewar al-Mutamaddin’ am 27.11.2010 im Museum für Islamische Kunst, Berlin
Grußwort des Vizepräsidenten der FU Berlin, Prof. Christoph Wulf, stellvertretend für Christine Merkel, Deutschen UNESCO-Kommission e.V.,
Sehr geehrte Preisträger, sehr geehrter Herr Akrawi [Gründer der Internetplattform]
gemeinsam mit Ihren heute nicht persönlich anwesenden 15.000 Kolleginnen und Kollegen,
Sehr geehrte Mitglieder des Ibn Rushd Fund aus dem In- und Ausland, sehr geehrter Herr Dr. Bushnaq-Josting [Chairman Ibn Rushd Fund],
Sehr geehrter Herr Dr. Hroub[Leiter des Cambridge Arab Media Project, Laudator,
Sehr geehrter Herr Dr. Weber [Direktor, Museum für Islamische Kunst],
meine Damen und Herren, liebe Kolleginnen und Kollegen,
Sehr gerne begrüße ich Sie namens der Deutschen UNESCO-Kommission zu der diesjährigen Preisverleihung des Ibn Rushd Preises für freies Denken. Diese bemerkenswerte parteiunabhängige Privatinitiative, mit der Sie Verdienste um die Demokratie und Meinungsfreiheit in der islamischen Welt würdigen, ist ein hervorragender Beitrag zum Kernanliegen der UNESCO, dem freien Austausch von Ideen und Meinungen. Wir hoffen dass dieses Beispiel Kreise zieht und auch in anderen Ländern und Weltregionen ähnliche Initiativen entstehen.
Frieden muss in den Köpfen der Menschen entstehen und verankert sein, so die Gründungserkenntnis von vor über 60 Jahren. Diese Zielsetzung wird unter den heutigen Bedingungen des Zusammenlebens täglich wichtiger und dringlicher. Mit dem Namenspatron des Preises, dem Philosophen, Arzt und Richter, geboren im spanischen Cordoba, gestorben in Marrakesch in Nordafrika, können wir aus einer über 800-jährigen Tradition des kritischen Denkens, der kritischen Dialogs zwischen Logik, Mystik und Theologie schöpfen, die in dieser Form vermutlich nur im damaligen vielsprachigen und vielfältig verbundenen Mittelmeerraum entstehen konnte.
Besonders angesprochen hat uns Ihre Entscheidung, den Ibn Rushd Preis 2010 im Bereich der Neuen Sozialen Medien auszuschreiben und zu verleihen. Die Internetforen und Blogs der letzten zehn Jahre, darunter das heute ausgezeichnete Forum ‚al-Hewar’, sind eine neue virtuelle Variante der legendären ‚Speaker’s Corner’ im Londoner Hyde Park, ein Platz für Meinungsäußerung, Meinungsbildung und ungehinderten Austausch. Das ‚al-Hewar’ Forum, dessen englischsprachige Ausgabe wir uns ansehen konnten, greift eine breite Themenpalette auf, von Literatur, Poesie und Kunst über Bürger- und Frauenrechte, Hochschulwesen und Studentenprotesten, Fragen des persönlichen Lebens in Partnerschaft und Familie, bis hin zur Auseinandersetzung mit wissenschaftlichen Themen und Kernfragen unserer Zeit wie Krieg und Frieden, Gewalt und Terrorismus. Namhafte Forscherinnen und Forscher schreiben darin ebenso wie Publizisten und aktive Zeitgenossen.
UNESCO beschäftigt sich spätestens seit dem Weltgipfel für Informationsgesellschaft 2003/2004 kontinuierlich mit Fragen der Sprachvielfalt, Meinungsfreiheit und Governance im Internet, in enger Kooperation mit einer internationalen Koalition von Journalisten- und Menschenrechtsvereinigungen (IFEX – International Platform for Freedom of Exchange).
Das internationale Forum für Internet Governance tritt jährlich zusammen – 2009 tagte es im ägyptischen Sharm El Sheik, 2010 in Wilnius in Litauen. In den letzten beiden Jahren diskutierte es besonders intensiv die neuen interaktiven Möglichkeiten der Kommunikation ‚von Vielen mit Vielen’. Es ist bekannt, dass Internetforen und Blogs in vielen Ländern nicht frei zugänglich sind, dass ihre Gründer und Autoren überwacht und teils auch verfolgt werden. Gleichzeitig nutzen viele unerschrockene Aktivisten gerade auch unter solchen Bedingungen die neuen Kommunikationsmöglichkeiten, wie die Weltöffentlichkeit sowohl bei den letzten Wahlen im Iran als auch durch die Aktionen des chinesischen Künstlers Ai Wei Wie wie z.B. seine Einladung zur „Flusskrebsparty“ aus Anlass der diesjährigen Verleihung des Friedensnobelpreises eindrucksvoll lernen konnte.
Ob der Philosoph Ibn Rushd/Averroes unter heutigen Bedingungen seine Ideen per Blog zur Diskussion stellen würde, wissen wir nicht. Nur zu gerne wüssten wir natürlich, was die 300 bis 500 Millionen Nutzer des ‚al-Hewar’ Forums beschäftigt, welche Vorstellungen vom Zusammenleben im 21. Jahrhundert sie umtreiben, welche Ideen von Glück und von der großen Herausforderung einer nachhaltigen Entwicklung sie umtreiben. Dazu bräuchte es sicher auch die Chance vielfältiger direkter persönlicher Dialoge, über den elektronischen Austausch hinaus.
Wir sind der Bitte zu dieser heutigen Begrüßung aus zwei Gründen besonders gerne nachgekommen: Die Deutsche UNESCO-Kommission verbindet eine langjährige Nachbarschaft mit dem Ibn Rushd Preis. Bei der ersten Verleihung des Preises 1999 im „Haus der Kulturen der Welt“ in Berlin veranstalteten wir sozusagen Tür and Tür eine internationale Tagung zur Aktualität des Gedankenguts von Averroes/Ibn Rushd für den interkulturellen Dialog unserer Zeit. Zufall und Fügung! Ehrenamtliches Engagement über so viele Jahre kontinuierlich weiterzuführen ist eine hohe Leistung, für die wir unseren Respekt und unsere Anerkennung aussprechen. Mit dem gastlichen Ort der Preisverleihung 2010, das wunderbare Museum für Islamische Kunst, verbindet uns aktuell eine Kooperation im Zusammenhang mit der Ausstellung „Vorsicht Glas!“ die zerbrechliche Kunst aus 1300 Jahren präsentiert. Meinungsfreiheit und freies Denken – die zerbrechliche Kunst des 21. Jahrhunderts, so ließe sich diese Konstellation wohl am besten zusammen fassen.
Wir gratulieren mit Herrn Rezgar Akrawi und seinen zahlreichen Mitstreiterinnen und Mitstreitern den diesjährigen Preisträgern, der Jury und den Initiatoren und begleiten Ihre wichtige Arbeit gerne weiterhin mit Sympathie und ideeller Unterstützung!
Begrüßungsrede des Ibn Rushd Funds anlässlich der Verleihung des Ibn Rushd Preises an al-Hewar al-Mutamaddin am 26.11.2010
Cora Josting
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Gäste aus nah und fern, liebe Freundinnen und Freunde, Förderinnen und Förderer des Ibn Rushd Funds, liebe Mitglieder!
Ich freue mich, Sie alle heute hier im Namen des Ibn Rushd Funds zur Vergabe des Ibn Rushd Preises für Freies Denken begrüßen zu können.
Ganz besonders begrüße ich
- Rezgar Akrawi, den Gründer der Internet-Plattform al-Hewar al-Mutamaddin, der heute den Preis stellvertretend für das große Team, das die Plattform zu dem macht, was sie ist, entgegennimmt
- die Redner des heutigen Abends – Ich danke Christine M. Merkel von der Deutschen Unesco für ihr Grußwort und ihrem Stellvertreter Prof. Dr. Christoph Wulf von der FU Berlin.
- Besonders freue ich mich, unseren diesjährigen Laudator Dr. Khaled Hroub, Leiter des Cambridge Arab Media Projects, begrüßen zu dürfen, der für diesen Abend nicht nur extra aus Cambridge angereist ist, sondern auch einen Workshop in Ramallah verschoben hat. (Nebenbei gilt also auch den Teilnehmern des Workshops für ihre – wenn auch ein bisschen unfreiwillige – Großzügigkeit mein Dank für ihren Beitrag zu unserer Veranstaltung.)
- Dr. Khaled Hroub war gleichzeitig auch Mitglied der diesjährigen Jury, die sich wie immer aus Fachleuten des Preisthemas zusammensetzte. Außer ihm waren die tunesische Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Naziha Rjiba, die Bloggerin Eman Al Nafjan aus Saudi Arabien und Ahmed Ashour von Al Jazeera Talk Net in Katar Mitglieder der Jury. Sie stellten uns ihr Wissen und ihre Zeit zur Verfügung, um den Gewinner aus dreizehn Kandidaten aus sieben arabischen Ländern zu ermitteln, dafür gebührt ihnen unser herzlicher Dank.
Wir haben heute Abend und in diesem Jahr das erste Mal die Ehre und das Vergnügen, mit dem Museum für Islamische Kunst als Co-Veranstalter zusammenzuarbeiten. Ich freue mich und bedanke mich bei Dr. Stefan Weber, Leiter des Museums, für seine Aufgeschlossenheit unserem Anliegen gegenüber, und für sein Bestreben, das Museum für Islamische Kunst zu einem offenen Ort zu machen, so dass nicht nur die islamische und arabische Kultur vergangener Zeiten, sondern auch die der gegenwärtigen arabischen Kultur öffentlich erlebbar wird.
Ein herzliches Dankeschön auch an die Mitarbeiter des Museums, von Technik bis zu Organisation, und besonders an Frau Christa Kienapfel für professionelle und problemlose Koordination der verschiedensten Bereiche bei den Vorbereitungen zu dieser Veranstaltung!
Heute hat sich hier ein bunt gemischtes Publikum versammelt mit Expertinnen und Experten in eigener Sache, Menschen arabischer und nicht-arabischer Herkunft, mit und ohne Migrationshintergrund, multi- oder monokulturell; uns allen gemein ist ein Interesse an Freiem Denken. Es ist gut, dass wir uns in so großer Zahl zu diesem Thema an diesem Ort zusammengefunden haben.
Die Gedanken sind frei, sagte Heinrich Heine, als er gegen Denkverbote in seinem eigenen Land stritt, das er schließlich aus diesem Grund verlassen musste. Heute nimmt die Nachfolgerepublik des Deutschlands von Heine Menschen auf, die aufgrund ihrer Gedanken ihre Heimatländer verlassen mussten; das ist ein Grund zur Freude, und es gilt, unserem Land diese Offenheit und Bereitschaft zur Unterstützung der Freien Denkerinnen und Denker, wo immer sie sein mögen, zu erhalten. Der Wert der Offenheit, dieser großen Errungenschaft, darf besonders in Zeiten der Krisen und allgemeinem atemberaubendem globalem Wandel nicht unterschätzt werden.
Der Wert der Offenheit, das Recht auf freie Meinungsäußerung und die Freiheit der Gedanken sind auch die Werte, die der Ibn Rushd Fund seit seiner Gründung 1998 in der arabischen Welt unterstützt und fördert. Unter anderem zeichnen wir jährlich eine Persönlichkeit oder Institution mit dem Ibn Rushd Preis für Freies Denken aus. Der Preis ist in erster Linie eine Anerkennung für die Leistung der Person oder Institution im Sinne des Freien Denkens in der arabischen Welt; so auch dieses Jahr, in dem der Preis für ‚das beste Internetforum/den besten Blog, der den öffentlichen Diskurs bereichert und vorantreibt‘, der Internetplattform al-Hewar al-Mutamaddin zuerkannt wurde.
Al-Hewar al-Mutamaddin nennt sich die Plattform; was bedeutet dieser Name eigentlich? Al-Hewar al-Mutamaddin, der Name enthält das Wort ‚al-Medina‘, Stadt. Du kannst Dir das so vorstellen, ließ ich mir erklären, ein Mensch zieht vom Land in die Stadt, und alles in seinem Leben ändert sich, so sehr, dass es schwer wird, sich zurechtzufinden mit den alten Vorstellungen, und auch die alten Regeln können nicht mehr greifen, weil sie ja für einen anderen Ort und eine andere Zeit gemacht waren. Und so bleibt dem neu in der Stadt Angekommenen nichts übrig, als sich umzusehen, sich zu fragen, „Wo bin ich jetzt? Was macht der neue Ort, die neue Zeit aus mir?“ Und er sieht ein, dass er zu althergebrachten Ansichten und Regeln dazulernen muss, und beginnt, selber zu denken, und tritt ein in einen Dialog mit der Welt, die er sich und anderen versucht zu erklären. Und das ist doch ein Vorgehen, das man sich zu eigen machen sollte, auch an Orten, wo das Wort für Stadt nicht ‚Medina‘ ist.
‚Modern dialogue‘ oder ‚civilized dialogue‘ übersetzt die Plattform ihren Namen ins Englische; ein moderner, zivilisierter Dialog. ‚Zivilisiert‘ – Zivilisation ist hier etwas Erstrebenswertes, etwas, das man beständig neu suchen und schaffen soll; nicht etwas, das man hat und das sich nie ändert, weil es immer so bleiben wird, wie es immer schon war, so wie es die gegenteilige Haltung, die des vielzitierten Begriffs des ‚clash of civilizations‘ impliziert. ‚Kampf der Kulturen‘, so die deutsche Übersetzung; den kann es nicht geben, denn wenn sie kämpfen, sind sie nicht kultiviert, nicht zivilisiert.
Einer Initiative, die den Wert der Zivilisation im Dialog sieht, im Austausch – auch kontroverser – Standpunkte, aber auf eine zivile Art und Weise: einer solchen Initiative gebührt die Ehre, den Ibn Rushd Preis für Freies Denken 2010 zu erhalten. Doch die eigentliche Lobrede hält gleich nach der musikalischen Einlage Dr. Khaled Hroub, dem ich darum die weiteren Ausführungen zum Preisträger überlasse.
Dass der Ibn Rushd Preis für Freies Denken in der arabischen Welt im Land Heines vergeben wird, von Menschen in Deutschland mit Herkunft aus verschiedensten arabischen Ländern, sowie von Menschen deutscher Herkunft mit Bezug zur arabischen Welt, sowie von Mitgliedern in zahlreichen Ländern weltweit: auch das ist ein Wandel, in dem eine Chance liegt – denn nur im Wandel liegt ja bekanntlich die Beständigkeit, des Freien Denkens, andernorts, und auch hier.
Seit 12 Jahren vergibt der Ibn Rushd Fund seinen Preis für Freies Denken in der arabischen Welt. Zum 800. Todestag des Ibn Rushd haben wir unseren Verein gegründet, und die runde Zahl als Anlass genommen, unsere Initiative zu beginnen. 12 Preise, das ist ein Dutzend, eine ungleich kleinere, aber ebenfalls runde Zahl, die wir als unsere erste Etappe der Unterstützung des Freien Denkens sehen möchten. Für diesen 12. Ibn Rushd Preis haben wir uns bewusst für ein Thema entschieden, das die jüngere Generation einbezieht, für die der Einsatz für das Freie Denken noch nicht vorüber ist, und die daher unsere aktive Unterstützung dringend braucht.
Sehr geehrte Damen und Herren, liebe Förderinnen und Förderer, liebe Mitglieder, so habe ich meine Rede begonnen; auch wir als Ibn Rushd Fund brauchen Unterstützung für unsere Arbeit. Wie gerne würde ich die, die heute Abend noch als Damen und Herren begrüßt worden sind, schon im nächsten Jahr als Förderinnen und Förderer begrüßen; denn nur mit Ihrer Unterstützung kann sich der Ibn Rushd Fund das nächste Dutzend Jahre dezidiert und nachhaltig für das Freie Denken in der arabischen Welt einsetzen.
Ich freue mich, Ihnen nun Saif Karomi ankündigen zu dürfen, der uns heute Abend Kostproben seiner neuesten Kompositionen an der Oud zu Gehör kommen lässt.