Pressemitteilung

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Orient und Okzident – die vergessene Verwandtschaft
Der diesjährige Ibn Rushd Preis für Freies Denken geht an Mohammed Arkoun für seine
Verdienste bei der Suche nach einer genuin arabischen Annäherung an Vernunft und
Aufklärung. Der in Algerien geborenen Denker sucht einen Weg zur friedlichen Co-Existenz der
Kulturen und der Religionen.
Nur Wochen nachdem Shirin Ebadi den Nobelpreis für ihren mutigen Kampf für Freiheit und
Demokratie im Iran verliehen wurde, erhält Mohammed Arkoun den Ibn Rushd-Preis für seine
Vision, die islamische Welt durch eine gründliche Neuinterpretation der Geschichte der Religion
in der islamischen Welt zu reformieren. Eine aus fünf prominenten arabischen Intellektuellen
bestehende Jury wählte den Professor emeritus der Pariser Universität Sorbonne den
diesjährigen Preis zu erhalten.
Der Ibn Rushd Preis für Freies Denken wird am 6. Dezember 2003 zum fünften Mal verliehen. Ganz im
Geiste des Namenspatrons Ibn Rushd (1126 – 1198, alias Averroes), dem Philosophen und Vermittler
zwischen den Kulturen, widmet sich der Ibn Rushd Fund für Freies Denken dem Recht auf freie
Meinungsäußerung und Demokratie in der arabischen Welt. Der diesjährige Preis war ausgeschrieben
für einen unabhängigen Denker, der sich besonders verdient gemacht hat um eine genuin arabische
Annäherung an Aufklärung und Vernunft:
Mohammed Arkoun, einer der berühmtesten modernen Denker der arabischen Welt und Ratgeber
verschiedener akademischer, politischer und religiöse Institutionen, ist ausdrücklich gegen die These
des Zusammenstoßes der Zivilisationen, der doch so unausweichlich erschien. Sein Ansatz ist es,
Ähnlichkeiten zwischen dem Islam und dem Westen hervorzuarbeiten anstatt die Unterschiede zu
vergrößern und das Andere zu dämonisieren, was derzeit leider die vorherrschende Einstellung ist.
Arkoun ist der Auffassung, daß beide der imaginären Pole „Islam“ und „Westen“ die jeweils andere
Kultur als den Feind konstruieren.
Arkoun steht für einen Dialog zwischen den Kulturen, seine vergleichende Methode macht ihn zu einem
modernen
In seinen Arbeiten untersucht Arkoun die gemeinsame Vergangenheit der Kulturen und die
gegenwärtige gegenseitige Ablehnung und Verachtung, die zumeist das Resultat sind von einer, wie er
es nennt, „institutionalisierten Ignoranz“, die in ungekanntem Ausmaß besonders in den letzten 50
Jahren Verbreitung fand.
Er kritisiert das im Westen vorherrschende Bild, nach dem die islamischen Kulturen als im Mittelalter
verharrend gelten. Der emeritierte Professor für Islamische Geschichte und Kultur weist darauf hin, daß
Bagdad die modernste Stadt der Welt war zu einer Zeit, als in Europa die Hexen brannten. Dort wütete
die heilige Inquisition während islamische Gesellschaften ein Konzept der Idee vom Humanismus
hatten. Bibliotheken und Universitäten wurden gegründet, arabische Wissenschaftler waren diejenigen,
die das mentale Erbe der Antike bewahrten, indem sie griechische Philosophen und Wissenschaftler
übersetzten. Dieses Erbe ist im westlichen Bewußtsein völlig abwesend und wird selbst von westlichen
Wissenschaften vernachlässigt.
Mohammed Arkouns Hauptaugenmerk liegt jedoch auf den islamischen Kulturen. Er kritisiert, daß sie
nicht in der Lage oder nicht willens sind, Grundsätze des Islams mit der wissenschaftlichen und
intellektuellen Moderne zu vereinbaren. Er ruft dazu auf, das Konzept „Islam“ von Grund auf neu zu
überdenken, um den vielen willkürlichen ideologischen und sogar phantasmagorischen Manipulationen
sowohl durch Muslime als auch durch Nicht-Muslime ein Ende zu machen.
Arkoun hat eine differenzierte Position zur gegenwärtigen Annahme, daß der Islam eine Trennung
zwischen Staat und Religion nie gekannt habe. Er bedauert, daß dieses von Ibn Rushd angestoßene
intellektuelle Projekt, für das er sich so sehr einsetzte, nach dessen Tod 1198 von den nachfolgenden
Generationen in allen islamischen Kontexten völlig aufgegeben wurde; dies änderte sich erst in der
zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wieder.
Er favorisiert das französiche Konzept des Laizismus als das am besten geeignete System, um
Probleme, die mit Autorität und Macht, spirituellen und säkularen Bereichen von menschlichen
Bedürfnissen und Aktivitäten zusammenhängen, zu lösen. Laizismus bewahrt die religiöse Freiheit als
modernen Ausdruck der Freiheit jedes einzelnen Bewußtseins. Für Arkoun kann Laizismus daher nicht
als Ideologie dargestellt werden, die auf die Negierung von Religion als spirituelle und ethische
Erziehungsmöglichkeit von Menschen abzielt; jedoch bedeutet es durchaus, den direkten Einfluß der
Theologen auf die Gesellschaft zu begrenzen.
Arkouns provozierende These ist, daß die islamische Gesellschaft noch nie eine eigene Renaissance
hatte und diese dringend braucht, um den „geschlossenen offiziellen Korpus“, zu dem der Islam speziell
in den letzten 40 Jahren geworden ist, zu revolutionieren.
Arkoun wird die Auszeichnung am 6.Dezember 2003 um 11.00 Uhr im Goethe Institut, Neue
Schönhauser Str. 20 in Berlin-Mitte persönlich entgegennehmen. Nach der feierlichen Preisübergabe
wird eine Pressekonferenz stattfinden; der abschließende Empfang wird die Möglichkeit zu persönlicher
Diskussion eröffnen.
Mohammed Arkoun ist der Herausgeber der Zeitschrift Arabica: Journal of Arabic and Islamic Studies
1953 egründet an der Sorbonne und publiziert von Brill.
Er verfaßte ein umfangreiches wissenschaftliches Werk, so u.a. Der arabische Humanismus vom 4.-10.
Jahrhundert (1970, 1982), Das Arabische Denken (6e edition 2003), Lektüren aus dem Koran (1982),
Kritik der Islamischen Vernunft (1984), Der Islam. Kritische Untersuchungen (1989), Das Ungedachte im
zeitgenössischen Islamischen Denken. (2002); Von Manhattan nach Bagdad: Jenseits von Gut und
Böse (2003).

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