Ehemalige tunesische Ibn Rushd Preisträgerin Sihem Bensedrine verhaftet

English العربية Français

Die Journalistin und Menschenrechtlerin Sihem Bensedrine wurde am 1. August 2024 unter fingierten Begründungen in Tunesien verhaftet. Als Vorsitzende der Kommission für Wahrheit und Würde (IVD) stritt sie dafür, Menschenrechtsverbrechen der Diktaturen in Tunesien zu dokumentieren und deren rechtliche Aufarbeitung zu ermöglichen.

Mit großer Bestürzung hat der Ibn Rushd Fund von der Festnahme der tunesischen Journalistin und Menschenrechtsaktivistin Sihem Bensedrine erfahren. Sie ist eine der klugen und mutigen Journalist:innen, die lange vor den arabischen Revolutionen, die ja bekanntlich ihren Anfang in Tunesien nahmen, die arabischen Despoten und ihre Regimes kritisierten und anklagten. Bensedrine setzte sich jahrzehntelang für Freiheit, Gerechtigkeit und Meinungsfreiheit ein und trug wesentlich zur gesellschaftlichen Aufklärung über Unterdrückung und Ungerechtigkeit des Staates bei. Sie war so in nicht unerheblicher Weise daran beteiligt, die Vorbedingungen der arabischen Revolutionen zu kreieren und mußte einige Jahre im Exil leben (u.a. 2002 als Gast der Hamburger Stiftung für Politisch Verfolgte). Für ihren mutigen Einsatz für demokratischen Wandel erhielt sie zahlreiche Preise, so auch im Jahr 2011 den Ibn Rushd Preis für Freies Denken.

Nun wurde Sihem Bensedrine (73) am 1. August 2024 verhaftet. Ihr wird vorgeworfen, den Kommissionsberichts der inzwischen aufgelösten „Kommission für Wahrheit und Würde“ (IVD), deren Vorsitzende sie war, gefälscht zu haben. Die IVD dokumentierte  Menschenrechtsverbrechen der Diktaturen in Tunesien zwischen 1955 bis 2011 und sollte so deren rechtliche Aufarbeitung ermöglichen.[1] Schon im März 2023 hatte ein Gericht Bensedrine die Ausreise aus Tunesien verboten, damit die Staatsanwaltschaft die angeblichen Fälschungen untersuchen könne.

Sihem Bensedrine bemühte sich um eine Übergangsjustiz nach der Revolution in Tunesien und setzte sich vehement für mehr Gerechtigkeit und gegen Gewalt, Unterdrückung und Folter ein. Schon unter dem Diktator Ben Ali war Sihem Bensedrine für die “Liga für Menschenrechte“ aktiv und prangerte schwere Menschenrechtsverletzungen des tunesischen Regimes an, von dem sie jahrelang mit Hetzkampagnen und Verleumdungen überzogen wurde. Sie wurde verfolgt und überwacht, war mehrfach im Gefängnis, erhielt Morddrohungen und überlebte mehrere Mordversuche.

Die Anschuldigung der Urkundenfälschung fallen in einen politischen Kontext, der durch die erneute Unterdrückung der freien Meinungsäußerung und den systematischen Abbau unabhängiger Institutionen in der jungen Demokratie gekennzeichnet ist. Sie sind ein Akt der politischen Verfolgung und zielen darauf ab, den Abschlussbericht des IVD zunichte zu machen. Seit der Präsident Kais Said 2021 das Parlament entmachtet und die Regierung durch von ihm ausgewählte Minister ersetzt hatte, wurden zahlreiche Oppositionelle inhaftiert, so u.a. bereits vor einem Jahr der damalige Sprecher des Parlaments, der führende tunesische Oppositionspolitiker Rached Ghannouchi, u.a. Träger des Chatham House Preises (2012) und des Ibn Rushd Preises (2014). Wir fordern die sofortige Freilassung von Sihem Bensedrine, sowie von Rachid Ghannouchi und allen anderen inhaftierten Oppositionellen in Tunesien.

Der Ibn Rushd Fund verurteilt die Verhaftung Sihem Bensedrines und ist äußerst besorgt um sie. Wir bitten die Bundesregierung zusammen mit der “Hamburger Stiftung für Politisch Verfolgte“ sich aktiv für ihre Freilassung einzusetzen.

Der Ibn Rushd Fund schließt sich dem Communiqué der “Anwälte ohne Grenzen“ (Avocats sans Frontières“) und der Civil Coalition for Transitional Justice an (Auszug – der volle Text ist hier zu lesen  https://asf.be/wp-content/uploads/2024/08/Communique-conjoint_Les-bras-securitaires-et-judiciaires-de-lexecutif-sapent-la-Verite-et-la-Dignite-en-Tunisie-2.pdf):

“Wir verurteilen die gerichtlichen Schikanen, einschließlich der Reiseverbote und gerichtlichen Verfolgungen, die am 1. August in der Ausstellung eines Haftbefehls gegen die ehemalige Vorsitzende der Kommission für Wahrheit und Würde, Frau Sihem Bensedrine, wegen ihrer Arbeit für die Kommission gipfelten.

Wir lehnen die Unterwerfung und Manipulation der Justiz ab, die darauf abzielt, die Opposition auszuschalten und Kritiker zum Schweigen zu bringen, indem Menschenrechtsverteidiger wie Sihem Bensedrine und Akteure der Zivilgesellschaft, politische Gegner und Gewerkschafter verfolgt werden, anstatt eine unabhängige Justiz aufrechtzuerhalten, die die Verantwortlichen von Menschenrechtsverletzungen wirksam verfolgt.“


[1] Bensedrine soll angeblich ein Bestechungsgeld angenommen haben, um eine Passage einzufügen, in der die ‘Banque Franco-Tunesienne‘ (BFT) der Korruption beschuldigt wird.

Social media & sharing icons powered by UltimatelySocial