Editorial – Heft 19 Frühjahr 2016

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Liebe Leserinnen, liebe Leser,

Rachid Boutayeb aus Marokko eröffnet die Ausgabe mit einem Essay „Der Körper des Anderen (unterwegs zu einer postislamischen Subjektivität)“. Der Islam, sagt er, sei sowohl  Religion als auch Kultur und Geschichte. Er habe in all diesen Bereichen einen wichtigen zivilisatorischen Beitrag geleistet. Wer dies leugnen will – aus einem Gefühl der Wut, aus Vorurteil oder Unwissenheit heraus –  gründet den Nährboden für den rassistischen Diskurs, der schon den grundlegendsten Werten der Demokratie widerspricht. Wer andererseits über den Islam als etwas Absolutes spricht, der fordert nichts anderes, als dass der Islam den Menschen seine Autorität aufzwingen soll. Der Autor erinnert, dass im Koran steht, der Mensch – jeder Mensch – sei ein Kalif (Nachfolger) auf Erden. Ein jeder von uns ist verantwortlich für das Leben. Was wir jedoch heute vor dem Hintergrund der Allianz der religiösen Orthodoxie mit der tyrannischen Herrschaft der Regime erleben, ist eine große Verfälschung dessen und eine Fälschung der Religion.

Mohammed Baqi Mohammed aus Syrien setzt sich mit dem Thema Frauenliteratur auseinander. Die Herrschenden haben die Bedeutung der religiösen Führung früh erkannt. So auch der Mann. Der politische Missbrauch von Religion ist kein neues Phänomen der Moderne. Vielmehr stellen wir ja fest, dass die islamische Rechtswissenschaft (Fiqh) als Versuch der menschlichen Interpretation des religiösen Textes von einer maskulinen Sichtweise ausgeht. Das erklärt auch die hässliche Allianz zwischen dem Herrscher (Sultan) und dem Religionsgelehrten (al-Faqih), wie sie unzählige Male schon stattgefunden hat. In der Frauenliteratur sind zwei Richtungen zu beobachten: Eine, bei der die Frau im Mann einen Partner sieht, zu dem sie spricht und sich bei ihm über das Ausmaß von Ungerechtigkeit beklagt, über seine Unterdrückung und Tyrannei,  die ihr durch ihn widerfährt. Eine andere Richtung, bei der es um das Streben nach Glück geht. Indem der Mann seine Macht über die Frau ausübt, verpasst er es, die Frage nach der Liebe zu stellen. Das Glück versäumen beide. In einer Beziehung, die auf Gehorsam beruht und nicht auf Gleichstellung, kann möglicherweise alles erreicht werden, nur nicht das Glück.

Auf einer Konferenz in Kairo zum Thema „Die mündlich tradierte Geschichte in Zeiten des Wandels: Gender, Dokumentation und die Konstruktion des Archivs“ (27. September 2015) greift Faiha Abdulhadi aus Palästina/Jordanien das brisante Thema „Das kulturelle Phänomen ‚das Archiv und die Macht‘“ auf und stellt viele Fragen: „Wer schreibt Geschichte? Wer macht Geschichte?“ Die überwiegende Mehrheit der offiziellen Behörden in der Welt schreiben und zeichnen eine offizielle Geschichte auf, so wie sie selbst die Geschichte aus ihrer Sicht in einer bestimmten Zeitepoche eben selbst sehen. Sie interessieren sich nicht für die vielen ernsthaften Versuche einer Neukonstruktion der Geschichte, die die offensichtlich voreingenommene, ideologische, oder koloniale Geschichtsschreibung hinterfragen, was notwendig wäre für die Völker, so Abdulhadis Feststellung.

In „Die arabischen Gesellschaften in Konfrontation mit dem Fundamentalismus und den salafitischen Strömungen“ schreibt der syrische Autor Habib Haddad: Die Wurzeln dieser Geistesströmung gehen zurück auf Ibn Hanbal und anderen Denkern bis hin zu Ibn Taymiyyah, dessen Lehren beschrieben werden als streng und starr und von dem gesagt wird, dass er die Möglichkeit der Rechtsfindung durch Idschtihad, dem Prinzip der Rechtsfindung durch eine eigene Urteilsbemühung, abgeschafft habe, und setzen sich fort bis zum Wahabismus, bei Abu Aala al-Mawdudi, Sayyid Qutb und den meisten politisch-islamischen Bewegungen. Habib diskutiert die Frage der Religion – aus der historischen Perspektive: ist Religion auch Staat oder ist sie nur Religion im Konflikt zwischen Aufklärung und geistiger Rückbesinnung auf die „Altvorderen“ (Salafismus).

Aktuell erschienen sind zwei Bücher – hier rezensiert von Hamid Fadlalla (Sudan/Deutschland): eines davon, „Das Ende des Nahen Ostens, wie wir ihn kennen“ von Volker Perthes, 2015 bei Suhrkamp erschienen, befasst sich mit den politischen Ereignissen in der arabischen Welt nach 2011 und sucht unter Berücksichtigung des historischen Kontext nach Lösungsansätzen. Das zweite, „Die arabische Welt im 20. Jahrhundert: Aufbruch – Umbruch – Perspektiven“ von Prof. Udo Steinbach, 2015 bei Kohlhammer erschienen, ist eine Analyse der historischen Entwicklung der arabischen Welt in der Neuzeit.

Im Rahmen des vom Internationalen Literaturfestival Berlin (ilb) aufgerufenen Worldwide Reading for Ashraf Fayadh am 14.01.2016 organisierte der Ibn Rushd Fund eine Lesung in Kooperation mit der Lettrétage Berlin und eine weitere Lesung in Karlsruhe in Zusammenarbeit mit Amnesty International und dem PEN-Zentrum Deutschland (Writers-in-Prison) im ZKM (Zentrum für Kunst und Medientechnologie). Aufgrund seines 2007 in Beirut erschienenen Gedichtbands „Gebrauchsanweisung anbei“ war Ashraf Fayadh wegen angeblicher Blasphemie in Saudi-Arabien zum Tode verurteilt worden. Anfang Februar 2016 wurde das Urteil in eine achtjährige Haftstrafe und 800 Peitschenhieben umgewandelt. Wir veröffentlichen einige Gedichte in deutscher Übersetzung.

Viel Spaß beim Lesen!

Dr. Abier Bushnaq

Chefredakteurin

17.04.2016

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