Integrationskrise der Muslime und Araber in Deutschland von Dr. Hamid Fadlalla

Es hat lange gedauert, bis die Deutschen akzeptiert haben, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist. In den 80er Jahren tauchte der Begriff der multikulturellen Gesellschaft auf, der heftigst diskutiert wurde. Kritik an den Grundlagen und zu Ansatzpunkten machte die Runde. Die Diskussion wurde schließlich mit der Begründung, dass Deutschland kein klassisches Einwanderungsland wie die USA, Kanada oder Australien sei, beigelegt.

Bald darauf kamen neue Definitionen hinzu wie:

  • Parallelgesellschaften
  • Komplette Segregation (ökonomisch, politisch und sozial)
  • Subkultur, ethnische Kolonie
  • Alternativökonomie
  • Arrangierte Ehen „Zwangsheiraten“ und  “Ehrenmorde“

Die bis zur jüngsten Debatte anhielten:

  • Mohammed-Karikaturen
  • Die schrecklichen Attentate vom 11. September 2001
  • Attentate von Madrid (März 2004) und London (Juli 2005)
  • Ermordung des niederländischen Filmemachers Theo van Gogh
  • Brutaler Überfall auf den Deutsch-Äthiopier in Potsdam (BL Brandenburg)
  • Rütli-Schule (Berlin-Neukölln, Georg-Büchner-Gymnasium (Berlin-Lichtenrade) und die Leistikow-Schule im Berliner Villenviertel Zehlendorf
  • Papstrede in Regenburg
  • Attentatsversuche auf dem Kölner Hauptbahnhof 2006

Alle diese meist negativ besetzten Begriffe und Konzepte haben – ob sozial oder kulturell  haben mit dem Problem der Integration oder des Fremdseins zu tun. Ausgeführt von jungen Menschen, die im Westen geboren oder aufgewachsen sind, werfen sie die Frage auf, ob die Ursache u. a. in einer bislang fehlenden bzw. versagenden Integrationspolitik zu suchen ist.

Die Integrationsprobleme von Zugewanderten sind vielfältig, angefangen von der schulischen Bildung, Berufsabschlüssen, Weiterbildung, Arbeitslosigkeit bis hin zu Arbeitsverbot und fehlendem Qualifikationstransfer. Dabei gibt es grundsätzlich keine Einwände gegen Fragebögen und Einbürgerungstests, wenn Migrant/innen hier als Staatsbürger/innen leben und arbeiten wollen, kann von ihnen verlangt werden, dass sie über Grundkenntnisse der deutschen Sprache und Allgemeinwissen zur Rechtsordnung, Kultur und Geschichte Deutschlands verfügen. Die Befragung darf aber nicht auf eine bestimmte ethnische oder religiöse Gruppe zielen wie z.B. in Baden-Württemberg geschehen, wo sie in ihrer Kompliziertheit, Länge und Doppeldeutigkeit (100 Fragen, die selbst nur wenige Deutsche aufgrund des Schwierigkeitsgrades hätten beantworten können) nur auf Muslime ausgerichtet war oder wie in Hessen, wo zusätzliche Gewissensfragen einen Angriff auf die Würde des Menschen darstellen. Hinzukommen muss aber auch die gleichberechtigte Teilnahme an Bildungs- und Beschäftigungschancen, ansonsten ist ein Integrationsanspruch nur schwer realisierbar und realitätsfern.
Zur Erinnerung: Die Revolte der französischen Jugendlichen in den Banlieus von Paris, die nicht nur perfekt Französisch sprechen, sondern für die meisten ist es sogar ihre Muttersprache.
Junge männliche Muslime aus der Türkei, Marokko und dem Libanon bilden in Deutschland die am wenigsten sozial integrierte Gruppe unter den Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Doch inzwischen ist klar, dass die dritte und vierte Generation der Immigranten nicht in die Heimat ihrer Eltern und Großeltern zurückkehren wird. Sie bleiben in Deutschland und sind Bürger dieses Landes. An dieser Stelle besteht für die Eltern die große Aufgabe, an der Erziehung ihrer Kinder gemeinsam mit Lehrer/innen und Schulbehörden zu arbeiten, um die in der Schule auftretenden Probleme zu lösen, z. B. das häufige Fehlen einiger Schüler/innen. Die Eltern können so unterstützend mitwirkend, die Chancen ihrer Kinder auf einen ordentlichen Schulabschluss zu erhöhen, um ihnen damit für die Zukunft bessere Perspektiven für Ausbildung und Beruf zu eröffnen.
Denn in Deutschland ist die zweite und dritte Generation besonders hart von bildungspolitischer Benachteiligung betroffen. Die allgemeine Arbeitslosigkeit in Berlin beträgt ca. 18,5 %, unter den türkischen Berliner/innen 48,5% und unter den arabischen Berlinerinnen ca. 80 %.
Es muss noch viel getan werden für gleiche  Bildungschancen und die berufliche Bildung, damit insbesondere die Jugendlichen nicht komplett den Anschluss verlieren und Eingang in den Arbeitsmarkt sowie ins Berufsleben finden. Viele Kinder von Zugewanderten haben aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse Schwierigkeiten in der Schule. Hier kann eine vorschulische Sprachförderung unterstützend wirken, um die schulischen Leistung dieser Kinder zu verbessern.

2005 lebten mehr als 7,2 Mio. Ausländer in Deutschland. Das entspricht einem Bevölkerungsanteil von 8,8%:

  • 15 Mio. Menschen haben einen Migrationshintergrund.
  • Jede 5. Eheschließung ist heute binational.
  • Jeder 3. Jugendliche in Westdeutschland hat einen Migrationshintergrund.
  • In einigen Ballungsgebieten stammen schon heute 40% der Jugendlichen aus Migrantenfamilien.
  • In Hamburg haben z. B. im Jahre 2007 ca. 48% der einzuschulenden Kinder einen Migrationshintergrund.
  • Die Bevölkerung in Deutschland ist in den letzten Jahrzehnten ethnisch, sprachlich, kulturell und religiös vielfältiger geworden. Jedoch wollen viele Politiker, besonders aus den Reihen der CDU/CSU, diese demografischen Tatsachen nicht wahrhaben. In der Vergangenheit haben sie oft Arbeitslosigkeit und Fremdenfeindlichkeit für ihre politischen Ziele und Propagandazwecke benutzt und damit Angst vor Migrant/innen  in der Bevölkerung geschürt – z. B. im Bundesland Hessen hat die CDU die Wahlen auch mit Parolen gegen die von der Rot/Grünen Regierung vorgeschlagene Doppelstaatsbürgerschaft gewonnen und damit ihren Einfluss im Bundesrat vergrößert.
  • Es gibt in Deutschland ca. 400.000 Araber/innen.
  • Und Arbeitslosigkeit unter den Araber/innen in Berlin liegt bei ca. 80%. Bei den Jugendlichen beträgt sie über 50%.
  • Der Anteil der Arbeitslosen ohne abgeschlossene Berufsausbildung liegt bei Migrant/innen weit über 70% im Vergleich zu Deutschen mit nur 28%.
  • Nur 14% der ausländischen Schüler/innen besuchen das Gymnasium.
  • 41% von ihnen zwischen 20 und 29 Jahren haben keinen Berufsabschluss, besonders hart sind die zweite und dritte Generation betroffen .

In Europa leben 23 Mio. Muslime. Dies entspricht einem Anteil von 5% an der Gesamtbevölkerung des europäischen Kontinents. Mit dem Eintritt der Türkei in die EU wird die Zahl der Muslime auf ca. 90 Mio. ansteigen und 15% der Bevölkerung Europas stellen. Davon sind 50 % der Muslime bereits in Europa geboren: 

  • Es gibt ca.3, 5 Mio. Muslime in Deutschland.
  • In Berlin gibt es ca. 50 muslimische Gemeinden. Sie bieten die Möglichkeit, Kultur und Traditionen zu pflegen.
  • In Deutschland gibt es ca. 100 Moscheen und 2200 Gebetsräume. Die erste Moschee in Deutschland wurde bereits am 13. Juni 1915 in der Nähe von Berlin eröffnet.
  • Die Religionsausübung verläuft im Allgemeinen reibungslos und bisher brauchen Moscheen und muslimische Zentren glücklicherweise keinen gesonderten Polizeischutz, wie dies bei  Synagogen und jüdischen Einrichtungen der Fall ist.

Nach dem 11.September 2001 wurde in einigen Untersuchungen festgestellt, dass Religiosität und Moscheebesuche der Muslime zunehmen. Eine Zunahme der Religiosität ist aber auch bei anderen Religionen zu beobachten und hat mit dem 11.September nichts zu tun. (Hinweis  auf den Titel des Buches „Die Wiederkehr der Götter“ von Friedrich Wilhelm Graf).

  • In vielen Moscheen, die von Arabern besucht werden, werden neben Religion auch Arabisch- und Computerkenntnisse in Form von Privatkursen vermittelt. Der Religionsunterricht läuft sehr traditionell ab und ist auf stures Auswendiglernen wie in Saudi-Arabien ausgerichtet. Saudi-Arabien ist auch der größte Finanzgeber dieser Moscheen.
  • Viele Eltern sind nicht zufrieden mit dem Unterricht, da die Lehrer keine ausgebildeten Pädagogen sind, aber in Ermangelung hiesiger staatlicher Einrichtungen gibt es keine Alternativen dazu.

Laut einer mehrjährigen Umfrage von Jürgen Leibold, Steffen Kühnel und Wilhelm Heitmeyer waren 36,6% der Befragten im Jahre 2003, 44,0% im Jahre 2004 und 49,7% im Jahre 2005 der Meinung, das der Islam keine bewundernswerte Kultur hervorgebracht habe.

Die Frage, ob die muslimische Kultur zur westlichen Welt passe, haben 65,9 % der Befragten im Jahre 2002, 69,6% im Jahre 2004 und 74,2% im Jahre 2005 mit Nein beantwortet.

Der Terrorismus, die letzten Ereignisse und die Bücher, die von einigen islamischen Autoren ohne fundiertes Wissen verfasst wurden, präsentieren nicht nur ein falsches Bild vom Islam, sondern erzeugen Angst vor den Muslimen. Die islamisch-arabische Zivilisation war in ihrer Blütezeit eine philosophisch geprägte Streitkultur mit einer durchaus positiven Ausstrahlung auf andere Länder. Durch Kolonialismus, den verlorenen Sechs-Tage-Krieg (1967) und die despotischen Regime kam es zur Unterbrechung der Aufklärung in den arabischen-islamischen Staaten, die bereits im 19. Jahrhundert begonnen hatte, u. a. auch mit der Reform der Religion.

Trotz Unterdrückung und Verbot finden im arabischen Raum zwischen Intellektuellen und moderaten Muslimen sachliche Debatten und Diskurse über Säkularismus, Moderne, Demokratie, Menschen- und Frauenrechte, Zivilgesellschaft und eine neue Auslegung des Koran statt. Die Reformkräfte in der Region sollten mit Hilfe des Westens bei der Überwindung von wirtschaftlicher Stagnation, Armut und Menschenrechtsverletzungen unterstützt werden. Denn diese Faktoren und die Unterdrückung durch totalitäre Regime verhindern demokratische Verhältnisse vor Ort und bilden eine fortwährende Basis für den Terrorismus. Terror gefährdet nicht nur den Westen, sondern auch die arabisch-islamischen Länder selbst und muss deshalb überall entschieden bekämpft werden. Auf diese Weise könnte der Westen dazu beitragen, allgemeingültige universelle Werte in diesen Staaten geltend zu machen, unter Berücksichtigung der Besonderheiten der Lebenswelten anderer Kulturgemeinschaften.

Pluralismus, individuelle Menschenrechte, Säkularisation in Politik und Gesellschaft, Gewissens- und Meinungsfreiheit sind Kulturphänomene und wichtige Grundlagen der zivilisatorischen Identität des Westens. Sie sind Resultate der Aufklärung, die manchmal auch durch militanten Verlauf erreicht wurden. Diese Werte sind für mich universalistisch, weil sie universelle humanistische Standards verkörpern, die alle Kulturen anstreben und sie dienen der Würde des Menschen, unabhängig davon, dass sie westlichen Ursprungs sind. In den arabischen Gemeinden und Kulturvereinen diskutieren Muslime diese Grundwerte und Normen in Bezug auf ihre Universalität. Im Allgemeinen werden diese Werte akzeptiert, dennoch wird ihre Akzeptanz erschwert durch die Doppelmoral und das Verhalten des Westens gegenüber Anderen in Bezug auf Demokratie und Menschenrechte:

  • Wo war bspw. die Demokratie, als die Amerikaner und Briten 1953 den ersten legitimierten iranischen Regierungschef Mohammed Mossadeg gestürzt und den diktatorischen Schah Pahlewi wieder als Machthaber eingesetzt haben?
  • Wo war sie, als die Amerikaner 1973 den gewählten Präsidenten Allende in Chile stürzten und den Diktator Pinochet an seiner Stelle in das Amt des Staatsoberhauptes hievten?
  • Und nur zur Erinnerung:
    Wo sind die Menschenrechte geblieben in Guantanamo und in Abu Ghraib, wo Häftlinge außerhalb der rechtsstaatlichen Ordnung ohne Gerichtsverfahren interniert und misshandelt werden?
  • Wo sind die Ideale der französischen Revolution geblieben und wer vertritt sie, die Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit?

Die Mehrheit der moslemischen Bürger/innen in Deutschland achtet die deutschen Gesetze und viele wünschen sich eine Integration in diese pluralistische Gesellschaft, die sie auch aktiv mitgestalten wollen. Man kann aber nicht leugnen, dass es eine radikale islamistische Minderheit gibt, die westliche Werte strikt ablehnt und die westliche Welt und ihre Werte mit Terror und Krieg bekämpft.

Multikulturalismus bedeutet Achtung gegenüber den Kulturen der Minderheiten durch die Mehrheitsgesellschaft und umgekehrt.

„Beim Aufbau humaner und gerechter Gesellschaften muss die Bedeutung von Freiheiten im Allgemeinen – und somit auch der kulturellen Freiheit – angemessen berücksichtigt werden.“

„Die Berücksichtigung kultureller Unterschiede einerseits und Menschenrechten und Entwicklung andererseits müssen nicht im Widerspruch zueinander stehen.“
(Kulturelle Freiheit in unserer Welt der Vielfalt, Bericht UNDP 2004)

Wenn z. B. die angebliche Islamwissenschaftlerin Ayaan Hirsi Ali im Oktober 2006 in einem Interview mit der FAZ zum Thema “Schleichende Scharia“ Äußerungen von sich gibt, in denen sie die Hamas als kriminell bezeichnet, obwohl die Hamas ganz legal durch freie und international beobachtete Wahlen in Palästina an die Regierung gewählt wurde (ein Novum in der arabisch-islamischen Welt). Auch ignoriert sie dabei das langjährige soziale Engagement der Hamas für die stark verarmte Bevölkerung in Palästina. Hier zeigt sich ihre Auffassung von Demokratie und Menschenrechten. Das kann man als politische Meinung akzeptieren. Aber wenn sie in dem Interview behauptet, dass auch der Koran nicht von Gott stamme, sondern 150 Jahre nach dem Tod Mohammeds von Menschen verfasst worden sei – hier ist sie jedoch weit entfernt von einer fundierten Wissensgrundlage, die für einen fachlichen Diskurs zum Islam aber dringend erforderlich ist.

Einige deutsche Wissenschaftler und Politiker (Friedrich Merz, CDU) sprechen von deutscher Leitkultur und gießen damit Öl ins Feuer. So erklärt der Berliner Historiker Arnulf Baring: Nicht Integration sei gefragt, sondern „Eindeutschung“. Der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily sagte über Integration im Jahr 2002:“ Die Integration hat die Einbeziehung in den deutschen Kulturraum zum Ziel“. Die beste Form der Integration, so meinte er, ist  die Assimilierung.  

Doch gibt es auch angesehene Persönlichkeiten und Intellektuelle, die eine vernünftige und verantwortliche Meinung zur Integrationsfrage haben, z. B. der Schriftsteller  Max Frisch:

„Es wurden Arbeiter gerufen, doch es kamen Menschen.“

Der ehemalige Bundespräsident Johannes Rau drückte es so aus:

“Integration, das ist die immer wieder erneuernde Bindung aller an gemeinsame Werte. Wer dauerhaft in Deutschland leben will, braucht seine Herkunft nicht zu verleugnen. Er muss aber bereit sein, eine offene Gesellschaft nach dem Leitbild des Grundgesetzes mitzugestalten. Es geht darum, dass Mehrheit und Minderheit ein Wir- Gefühl entwickelt, dass beide bindet und verbindet“.

Udo Di Fabio Richter am Bundesverfassungsgericht schreibt in seinem Buch „Die Kultur der Freiheit“ ich zitiere:

„Eine offene Kultur der Freiheit wird aber auch nur dann bestehen, wenn sie ihre Arroganz ablegt und stattdessen mehr Selbstbewusstsein gewinnt. Die politische Leitkultur der larmoyant duldenden Multikulturalität ist in Wirklichkeit Herablassung, ein Nicht-Ernst-Nehmen. Im Inneren der offenen Verfassungsstaaten werden wir lernen müssen, mit verschiedenen Kulturen und ihren Herausforderungen umzugehen, und zwar ohne alles gut zu finden, was anders ist. Wir werden lernen müssen, eine Toleranz zu üben, die gerade mit der begründeten Setzung von Grenzen und dem Festhalten an einigen Institutionen den anderen und sich selbst ernst nimmt. Wer sich selbst achtet, sieht auch im Anderssein des andern sein eigenes Gesicht.“

Woran erinnert uns der letzte Satz von Di Fabio – vielleicht an die berühmten vier Zeilen von Goethe, als er die wortgetreue Übersetzung von dem Buch. “Tausendundeine Nacht“ gelesen hat.

„Wer sich selbst und andere kennt,
wird auch hier erkennen,
Orient und Okzident
sind nicht mehr zu trennen.“

Dr. Heiner Bielefeldt (Direktor des Deutschen Instituts für Menschenrechte in Berlin) hat vor ungefähr sechs Jahren einen wichtigen Aufsatz mit der Überschrift „Muslime im säkularen Rechtsstaat“ geschrieben.

Ich zitiere:

„Es ist an der Zeit, ein Zeichen zu setzen. Bei allen unleugbaren Schwierigkeiten und trotz vieler ungeklärter Fragen gibt es prinzipiell keine Alternative dazu, Muslimen die Chance zur Mitgestaltung an dieser Gesellschaft zu geben, und zwar nach Maßgabe gleicher Freiheit. Wer darin eine Gefahr für die säkulare Rechtsordnung sieht, hat nicht verstanden, worin der Sinn der rechtsstaatlichen Säkularität besteht.“

Und Jürgen Habermas (der bekannte Philosoph und Soziologe) äußert in:“ (Blätter für deutsche und internationale Politik 12/06

„Die Kinder und Kindeskinder der ehemaligen Immigranten sind längst ein Teil von uns, und weil sie es doch nicht sind, stellen sie für die Zivilgesellschaft und nicht für den Innenminister eine Herausforderung dar.

„Es geht darum, die Angehörigen fremder Kulturen und fremder Religionsgemeinschaften gleichzeitig in ihrem Anderssein zu respektieren und in die staatbürgerliche Solidarität einzubeziehen.“ 

„Die gelingende Integration ist ein Lernprozess auf Gegenseitigkeit. Bei uns stehen die Muslime unter sehr großem Zeit- und Anpassungsdruck. Der liberale Staat verlangt von allen Religionsgemeinschaften ohne Ausnahme, dass sie die Tatsache des religiösen Pluralismus, die Zuständigkeit der institutionalisierten Wissenschaften für säkulares Wissen und die universalistischen Grundlagen des moderne Rechts anerkennen“.

„Er garantiert die Grundrechte, auch innerhalb der Familie. Er ahndet Gewalt, auch in der Form des Gewissenszwangs gegenüber eigenen Mitgliedern. Aber der Bewusstseinswandel, der die Verinnerlichung dieser Normen erst möglich macht, verlangt gleichzeitig eine selbstreflexive Öffnung unserer nationalen Lebensformen.
Wer diese Behauptung als „Kapitulation des Westens“ denunziert, geht dem albernen Kriegsgeschrei der liberalen Falken auf den Leim. Der eingebildete „Islamofaschismus“ ist so wenig ein handgreiflicher Gegner wie der Krieg gegen den Terrorismus ein „Krieg“ ist“.

„Die seit 2001 zunehmende kulturelle Spannung zwischen Christentum und Islam hat jüngst in Deutschland einen aufregenden, auf hohem Niveau geführten Wettstreit der Konfessionen ausgelöst. Gestritten wird über die Verträglichkeit von Glauben und Wissen. Der Papst führte die Vernünftigkeit des Glaubens auf die Hellenisierung des Christentums, Bischof Huber auf die nachreformatorische Begegnung des Evangelium mit dem nachmetaphysischen Denken Kants und Kierkegaards zurück. Auf beiden Seiten verrät sich im Eifer des Gefechts ein Quentchen Zuviel an Vernunftstolz. Der liberale Staat muss jedenfalls darauf bestehen, dass die Verträglichkeit des Glaubens mit der Vernunft allen religiösen Bekenntnissen zugemutet wird. Diese Qualität darf nicht als die exklusive Eigenschaft einer bestimmten, an eine westliche Traditionslinie gebundene Religion beansprucht werden“. ( Ende der Zitate)

Der Bischof von Limburg, Franz Kamphaus schreibt einen langen Artikel in der FAZ vom 02. Februar 2007 mit dem Titel „Ein Dialog mit dem Islam“. Der Artikel klingt mit nachfolgendem Zitat aus:

„Der Dialog zwischen Christen und Muslimen steht erst am Anfang. Er braucht Geduld und Vertrauen, langen Atem und offene Herzen. Um des Friedens willen gibt es keine Alternative zu ihm, auch nicht um des Glaubens willen. Man könnte leicht meinen, wir seien zum Dialog verdammt. Doch das wäre nicht einmal die halbe Wahrheit. Wir sind es zuerst vor allem uns selbst und unserem Glauben schuldig, trotz aller bedrückenden Erfahrungen miteinander zu sprechen. Das ist es, was Gott uns zumutet, der Gott, den Christen gemeinsam mit den Muslimen, den Gerechten und den Barmherzigen.“

Den Erfolg gelungener Integration kann man an der vertrauensbildenden Zusammenarbeit zwischen Mehrheit und Minderheiten in der Gesellschaft messen, indem jede Seite ihrer  Verantwortung gerecht wird.

Angesagt sind also Reflexion, selbstkritisches Denken und Ratio und nicht Resignation!
Aber auch nicht die Pseudohaltung des Westens, der im Zweifelsfall immer die Durchsetzung seiner eigenen Interessen an die erste Stelle setzt.

Der Ansatz der Deutschen Islamkonferenz (DIK) vom 27. September 2006, die im Mai 2007 in eine zweite Runde ging, ist sinnvoll, wenn bislang auch keine konkreten Ergebnisse erzielt wurden. Dennoch setzt dieses Forum ein erstes Zeichen für einen Dialog auf Augenhöhe mit Vertreter/innen der Muslimischen Gemeinde und ihren Verbänden. Mit der Form des Diskurses signalisiert die deutsche Gesellschaft die Bereitschaft, nicht mehr nur über die Muslime zu reden, sondern mit ihnen und den Islam ernst zu nehmen.

Für die Zukunft bedarf es der Anerkennung von Moscheen und islamischen Verbände als Körperschaften des öffentlichen Rechts, denn dies bringt auch Transparenz in die innerislamischen Strukturen.

Die am 30. Juni 2004 neu gegründete Muslimische Akademie soll nicht nur theoretische religiöse Fragen, sondern auch praktische Alltagsprobleme von Muslimen im täglichen Leben diskutieren und Lösungsansätze aufzeigen. Auch die Einrichtung der islamischen theologischen Fakultät in Münster unter der Leitung von Mohammad Sven Kalisch und  eine Stiftungsprofessur für islamische Religion zur Ausbildung von Religionslehrern  sind ein Schritt in die richtige Richtung, um dem Vorwurf nicht ausgebildeter Imame und Religionslehrer zu begegnen.

In Deutschland leben etwa  3.5 Mio. Muslime, wie bereits oben erwähnt. Davon sind bis zu 20% in Verbänden organisiert. Laut Verfassungsschutzbericht gelten rund 1% der muslimischen Bevölkerung in Deutschland als Anhänger islamistischer Organisationen. Davon gelten als potenzielle Gewalttäter oder gewalttätige Aktionen unterstützende Personen rund 200 Mitglieder.
 
Der jüngste Zusammenschluss großer Verbände unter dem neuen Dachverband Koordinierungsrat der Muslime (KRM) bündelt einen kleinen Prozentsatz der Muslime:

Organisationen    Mitgliederzahl
Islamrat für die BRD    136.000
Türkische-Islamische Union der Anstalt für Religion (Ditib)    118.000
Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ)    20.000
Zentralrat der Muslime in Deutschland (ZMD)    12.000
Gesamt    286.000

Der Koordinierungsrat vertritt damit etwa 15-20 % der 3,5 Mio. Muslime in Deutschland. Wer vertritt aber die anderen Muslime? Und wo positionieren sich die liberalen Muslime? Die Einwanderer bedürfen sozialer und politischer Rechte und die Mehrheitsgesellschaft muss sich öffnen. Inzwischen sind drei Abgeordnete arabischer Abstammung im Berliner Abgeordnetenhaus  vertreten. Sie sollten sich hauptsächlich um die Probleme der Migranten/innen, besonders der Jugendlichen  kümmern. Es gilt, Migration als Chance und Bereicherung für die deutsche Gesellschaft zu begreifen und das muss an der Basis der Gesellschaft ankommen.


Während der rot-grünen Regierungsperiode (SPD, Grüne) von 1998 bis 2005 wurden einige Fortschritte für die Integration von Zugewanderten auf den Weg gebracht (2000 die Novellierung des Staatsangehörigkeitsgesetzes, das Erleichterungen beim Erlangen der deutschen Staatsangehörigkeit vorsieht, 2005 das Inkrafttreten des Zuwanderungsgesetz, mit dem erstmals durch die Einführung eines obligatorischen Integrationskurses für Neuzugewanderte sich der Staat für die Förderung des Erwerbs deutscher Sprachkenntnisse für zuständig erklärt)

Aus Sicht der Praktiker/innen und nach einer ersten Evaluation ist Kritik an der bisherigen organisatorischen, inhaltlichen und finanziellen Umsetzung der Integrationskurse laut geworden. So haben im Jahre 2006 zirka 250.000 Zugewanderte an diesen Kursen teilgenommen, wobei Frauen etwa 65% aller Teilnehmenden stellten.

Doch nur weniger als die Hälfte der Teilnehmenden hat die Abschlussprüfung mit Sprachzertifikat bestanden. Diese Quote wird als ungenügend angesehen. Durch Sanktionsmaßnahmen im geänderten Aufenthaltsgesetz wird künftig Zugewanderten die Aufenthaltserlaubnis nicht mehr verlängert, wenn sie trotz Aufforderung nicht an den Kursen teilnehmen. Hier stellt sich die Frage, ob derartig restriktive Maßnahmen einer bisher verpassten und jetzt um Vertrauen ringenden Integration förderlich sind. Außerdem wird die Integration weiter noch zusätzlich erschwert, weil nunmehr Ehefrauen vor der Einreise nach Deutschland bereits Deutschkurse in ihrer Heimat absolvieren sollen. Die bundesdeutsche Regierung gibt an, damit Zwangsehen vermeiden zu wollen.

Auch der Integrationsgipfel mit Kanzlerin Merkel an der Spitze stellt ein positives Signal an die Gemeinschaft der Migrant/innen in Deutschland dar, ebenso wie der jüngste Beschluss der Innenministerkonferenz, mit dem ein längst überfälliges Bleiberecht für langjährig Geduldete installiert wurde.
Der Wermutstropfen für die rund 200.000 geduldeten Migranten in Deutschland besteht jedoch in der Tatsache, dass dies Regelung sehr engmaschig gestrickt ist und damit vielen der Betroffenen kaum eine spürbare Verbesserung bringt. Denn Voraussetzung für eine auf Dauer angelegte Aufenthaltsgewährung nach der Bleiberechtsregelung sind der Nachweis eines Arbeitsplatzes ohne Inanspruchnahme von Transferleistungen und ausreichende  Deutschkenntnisse. Auf Grund der allgemein hohen Arbeitslosigkeit verkommt diese Regelung zur Farce, anstatt eine Erleichterung für die Betroffenen darzustellen. Deshalb werden nur wenige geduldete Personen vom Bleiberecht profitieren können – die Mehrheit bleibt weiterhin von Abschiebung bedroht.

Hinzukommt ein weiterer Änderungsentwurf der Bundesregierung (26. April 2007, Bundestag) zum Aufenthaltsgesetz, der u. a. für geduldete Personen ein befristetes Aufenthaltsrecht bis zum 31.12. 2009 vorsieht, wenn sie am 01. Juli 2007 mindestens seit 8 Jahren in Deutschland leben oder Kinder haben, die mindestens seit 6 Jahren in Deutschland leben. Bis zu diesem Zeitpunkt sie in der Lage sein, ihren Lebensunterhalt unabhängig von Transferleistungen zu bestreiten und dies durch einen gesicherten Arbeitsplatz nachweisen können – nur dann wird ihre Aufenthaltserlaubnis auch zukünftig verlängert. Davon betroffen sind derzeit 180.000 Menschen in Deutschland. Sie sind wegen religiöser oder politischer Verfolgung aus ihrer Heimat geflohen. Da sie keine anerkannten Asylsuchenden sind, verfügen sie über kein Daueraufenthaltsrecht, sondern werden aus humanitären Gründen nur befristet geduldet. Viele von ihnen leben seit Jahren in dem Teufelkreis: ohne Aufenthaltserlaubnis keine Arbeit, ohne Arbeit keine Aufenthaltserlaubnis.

Sensibilisierung für Rechte, Vielfalt und Antidiskriminierung ist notwendig:
Es gibt keinen speziellen Rassismus, der sich gegen Araber richtet, sondern einen allgemeinen, der sich gegen Fremde in ihrer Gesamtheit richtet. Gründe hierfür sind, dass es seit Jahrzehnten zu wenige Berührungspunkte zwischen Deutschen und Migranten im regulären Alltag gibt. Hierzu gehört ebenfalls, dass der zivilbürgerschaftliche Status Vorrang vor dem ethnischen hat. Die arabische Community in Deutschland muss sich stärker in gesellschaftliche und soziale Belange für ihre Mitglieder einbringen und an den Mainstream-Diskussionen der hiesigen Gesellschaft teilnehmen. Sie darf nicht nur politisch agieren. Zum Beispiel bei den minderjährigen arabischen Jugendlichen, die hier ohne Familie im Heim leben und nur über wenig Geld verfügen. Wenn sie  außerhalb des Heims den massiven Konsum wahrnehmen, an dem sie sich aus finanziellen Gründen nicht beteiligen können, besteht sehr schnell die Gefahr, dass sie ins kriminelle Milieu abrutschen. Hier hat auch  die arabische Gemeinschaft Pflichten.  

Integration ist eine gesamtgesellschaftliche Querschnittsaufgabe. Sie ist zugleich Anspruch und Verpflichtung – sowohl für Zugewanderte als auch für die Mitglieder der Mehrheitsgesellschaft – und es muss in der Breite der Gesellschaft ankommen, dass Integration keine Einbahnstraße ist.

Tatsächlich leben viele Ausländer, besonders Türken und Araber z.B. in Berlin nur in bestimmten Bezirken, weil dort die Mieten niedrig und die Wohnungen häufig in einem  schlechten Zustand sind. Die Besitzer akzeptieren Migrant/innen als Mieter, um Leerstand zu vermeiden. Dass die Ausländer aber dort beieinander wohnen und ihr Leben nach ihren Traditionen und Gewohnheiten gestalten, bedeutet noch lange nicht, dass sie im Ghetto oder in einer Parallelgesellschaft leben. Der Begriff der Parallelgesellschaft selbst ist umstritten und wird von einigen Politikern bewusst und opportunistisch rhetorisch eingesetzt, um von der  Verantwortung für die Misere der jahrzehntelang unterlassenen Integration abzulenken und nun den Migrant/innen die alleinige Schuld zuzuweisen.

Wenn ein Hochschullehrer seit ca. 30 Jahren in Deutschland lebt, hier 20 wissenschaftliche Bücher geschrieben und viele Ehrungen erhalten hat, ein gefragter Mann im Fernsehen und bei Talkshows ist und dann behauptet, er sei nicht in deutsche Gesellschaft aufgenommen worden und deshalb nach Amerika auswandert, so spricht er nicht die ganze Wahrheit. Dann ist das nicht ehrlich und schadet damit den gutwilligen und vernünftigen Menschen, die an der Problematik der Integration arbeiten. Er unterstützt  damit eher die Fundamentalisten, die behaupten, dass man in Deutschland nie integriert wird.

Die Integration ist eine gesellschaftliche Aufgabe und darf nicht nur als ein Sicherheitsproblem behandelt werden, wie in letzter Zeit häufiger geschehen. Wir dürfen nicht zulassen, dass die Integrationsproblematik auf die Kopftuchdebatte und die lächerliche Forderung, das Freitagsgebet in deutscher Sprache abzuhalten, reduziert wird.

Der Ruf nach Eindeutschung, Leitkultur und Assimilation  in einer multikulturellen – ethnischen und religiösen – Gesellschaft wie Deutschland, ist kontraproduktiv für die Lösung der Integrationsproblematik.
Vor dem Grundgesetz sind alle (Deutsche und Migranten) gleich, nicht aber in einer deutschen („christlich-abendländischen“) Leitkultur.

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Dr. Hamid Fadlalla ist Arzt und Geschäftsführer der Organisation für Menschenrechte in den arabischen Staaten (OMRAS/D).

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